Nascondino (2021)

Nascondino (2021)

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  2. 85 Minuten

Filmkritik: Gross werden in Neapel

18. Zurich Film Festival 2022
Früh übt sich
Früh übt sich © Zurich Film Festival

Entoni und Dylan sind zwei halbstarke Teenager, die in ihren Lederjacken Eindruck schinden wollen. Entoni entdeckt ein Mobiltelefon am Boden. Er möchte es dem Besitzer zurückgeben und dafür ein Trinkgeld bekommen. Im Quartier drehen sie Runden mit ihren Vespas und gehen oft vorne ans Meer, um zu baden. Sie haben eine unbeschwerte Jugend, aber auch viel zu viel Zeit, denn sie gehen nicht zur Schule. Nonna Assunta macht sich Sorgen um ihn, denn ihr Mann starb im Gefängnis, als sie 23 Jahre alt war. Der Mann ihrer Tochter, der Vater von Entoni, sitzt ebenfalls im Gefängnis.

Hat Napoli ein Tor geschossen?
Hat Napoli ein Tor geschossen? © Zurich Film Festival

Es dauert nicht lange, bis Entoni und Dylan aus Jux eine Kartontafel anzünden und dabei ein Auto in Brand gerät. Dylan macht sich aus dem Staub und Entoni muss das erste Mal einsitzen. Wird es Entoni gelingen, aus diesem Strudel herauszukommen, in den schon sein Vater und sein Grossvater geraten waren?

Victoria Fiore zeigt mit ihrem Dokumentarfilm den ganz normalen Lauf der Dinge in den Quartieri Spagnoli in Neapel. Wenn sie die Jugendlichen mit der Kamera begleitet, könnte schnell das Gefühl einer heilen Welt in diesem Mikrokosmos aufkommen. Fiore verwendet die Interviews mit den Angehörigen als Stimme aus dem Off, die aufzeigt, wo der Schuh drückt. Ihr ist ein direkter und präzise beobachtender Film gelungen.

Der Dokumentarfilm von Victoria Fiore ist ein Bijou. Behutsam folgt sie mit ihrer Kamera den Protagonisten. Die Gespräche, die sie mit ihnen Geführt hat, spielt sie als Erzählstimmen aus dem Off ein. Das gibt dem Film einen sehr direkten Charakter. So entsteht beinahe der Effekt eines Reporters, der ein Fussballspiel kommentiert, so hautnah fühlt sich das an.

Indem die Regisseurin mit ihrer Kamera ganz einfach Entoni folgt, zeigt sie damit den ganz normalen Lauf der Dinge in Neapel. Es ist offensichtlich, was die Menschen in dieses Hamsterrad treibt. Das Schulsystem in Napoli funktioniert mehr schlecht als recht, und wenn die Jugendlichen nicht zur Schule gehen, haben sie viel Zeit für anderes. So ist es fast vorprogrammiert, dass sie aus Langeweile auf dumme Ideen kommen. Die Regisseurin zeigt eindrücklich die Ohnmacht der Angehörigen rund um Nonna Addolorata.

Victoria Fiore hat viel Zeit in diesen Film investiert. Sie vier Jahre dafür aufgewendet und in dieser Zeit die Protagonisten einfach begleitet. Wie es für sie wohl war, mitanzusehen, wie Entoni auf die schiefe Bahn gerät und zu sehen, dass das in diesem Quartier in Neapel «Business as usual» ist?

Es ist ein sehr authentischer Film entstanden, und das Publikum kann sich sehr schnell mit Entoni und seiner Familie identifizieren. Nach dem Film setzt sich das Werk und es wirft Fragen auf, auf die wohl auch die Regisseurin keine Antwort hat. Warum ist das Bildungssystem in Neapel und der Region so schlecht? Warum bleibt es dabei? Wenigstens hat Nonna Addolorata das Rezept gefunden, um im Quartier in Ruhe leben zu können: den Mund halten.

Giancarlo Schwendener [gia]

Giancarlo ist James Bond 15 Jahre lang auf Augenhöhe begegnet. Mit dem Abgang von Daniel Craig ist damit vorerst Schluss. Er liebt die grosse Anzahl an tollen Filmen, aber die Fab Five stehen für ihn eine Stufe höher: Sergio Leone, Marlon Brando, Robert De Niro, Sean Connery und Quentin Tarantino.

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