Christian Schwochow hat nach seiner Adaption des oft in Schulen durchgekauten Buches Deutschstunde mit Je Suis Karl erneut einen Film gedreht, der in Klassenzimmern gezeigt werden kann. Doch dies nicht etwa, um den Schülerinnen und Schülern das Lesen von weiteren 600 Seiten zu ersparen. Nein, denn das beunruhigende Drama mit den Shootingstars Luna Wedler und Jannis Niewöhner basiert nicht auf einer bekannten Vorlage. Es würde von Schwochow und Autor Thomas Wendrich erdacht, um Teenager vor den Neuen Rechten zu warnen - und dies scheint in Zeiten, in denen nationalistische Tendenzen in Europa zunehmen, mehr als nur nötig.
Subtil gingen die beiden dabei nicht vor. Immer wieder ist Je Suis Karl äusserst plakativ und überspannt in einem überraschend früh enthüllten Twist den Bogen massiv. Dies ist durchaus beabsichtigt. Die Botschaft soll unmissverständlich vorgetragen werden, sodass keine verschiedenen Interpretationen möglich sind. Auch wenn die porträtierten Figuren hip, cool und mit vielen Followern ausgestattet sind - mit Bomberjacke und Glatze läuft kaum einer herum -, ist ihre Denkweise äusserst gefährlich und mehr als nur verwerflich. Ihre Sprache wirkt dabei direkt aus den sozialen Medien gegriffen («Wollen wir Schafe sein?»), womit der Film noch eine Spur unangenehmer an einen heranrückt.
Die Zuschauer entdecken mit der blauäugigen Maxi diese Welt, wobei Wedler nicht nur wegen ihren blauen Augen wunderbar in diese Rolle passt. Die Zürcherin darf hier die fast ganze Palette menschlicher Emotionen zeigen und geht in ihrem Part der wütenden Traumatisierten völlig auf. Sie kann sich dabei auch auf ihren Leinwandpartner Niewöhner verlassen. Der momentan wohl angesagteste Schauspieler Deutschlands ist in seiner Rolle des Karl dermassen charismatisch, dass es nicht verwundert, dass Maxi seinem Charme erliegt. Das grosse Drama geht dabei von ihr aus, denn als Mensch vor der Leinwand möchte man ihr die ganze Zeit zurufen, dass sie doch endlich mal aufwachen und realisieren soll, was genau abgeht. Die Zuschauerinnen und Zuschaer sind mit ihrer Position im Kinosaal hilflos und sehen auch wegen eines Wissensvorsprungs gegenüber Maxi die bevorstehende Katastrophe kommen.
Doch auch hier sind Schwochow und Wendrich letzten Endes einfach nur konsequent. Im Alltag ist es ja auch so, dass oft viel zu lange einfach zugesehen, statt gehandelt wird. Das ist nicht immer leichte Kost, aber aufgrund Wedlers Spiel aufwühlend und letzten Endes verfehlt der Film sein ziemlich offensichtliches Ziel auch nicht. Besonders mit der letzten Szene unterstreichen die Macher nochmals, dass, sollte es so weitergehen, es bald immer düsterer wird, bis dann auch das letzte Lichtlein Hoffnung irgendwann erlischt. Subtil ist das wie gesagt nicht und viele Kritikerinnen und Kritiker werden den Film deshalb auch genüsslich auseinandernehmen. Aber solange er bei den Jugendlichen einen aufrüttenlden Eindruck hinterlässt, waren das keine zwei verschwendeten Deutschstunden.