Hit the Road - Jadde Khaki (2021)

Hit the Road - Jadde Khaki (2021)

  1. 93 Minuten

Filmkritik: Roadtrip in eine ungewisse Zukunft

17. Zurich Film Festival 2021
Quality-Time mitten im Nirgendwo
Quality-Time mitten im Nirgendwo © JP Production

In einem Leihwagen fährt eine Familie durch die karge, weitläufige Landschaft des Iran: Auf dem Rücksitz versucht der Vater (Hasan Majuni) trotz eingegipstem Bein den kleinen Sohn (Rayan Sarlak) zu bändigen. Auf dem Beifahrersitz versucht die Mutter (Pantea Panahiha) mit Musik und Gesang alle zu unterhalten. Am Steuer sitzt der ältere Sohn (Amin Simiar) - still, in sich gekehrt, den Blick starr auf die Strasse gerichtet. Denn dieser scheinbar harmlose Ausflug ist der Beginn einer viel grösseren Reise.

Die Eltern haben während der Fahrt alle Hände voll zu tun mit dem kleinen Sohn. Er quasselt unentwegt, stellt unbequeme Fragen und bringt mit seiner unbändigen Energie alle an ihre Grenzen. Die Pausen, die die Familie während der Fahrt einlegt, werden zu kleinen Ruheoasen. Dann nämllich wird der Kleine sofort losgeschickt, um mit dem Familienhund Gassi zu gehen. Erst in diesen Momenten kehrt Stille ein und offene, tiefgehende Gespräche sind möglich. Immer wieder macht sich Schweigen breit und eine undefinierbare Traurigkeit schleicht sich ein. Keinesfalls darf der Kleine den wahren Grund für die Reise erfahren, denn die Gefahr ist zu gross.

Humorvoll und berührend zugleich: Hit the Road nimmt das Publikum mit auf eine ungewisse Reise durch die zauberhafte und zugleich beängstigende Landschaft des Iran. Witzige Dialoge und humorvolle Ereignisse wechseln sich ab mit Momenten meditativer Stille, in denen das riskante Vorhaben der Familie umso deutlicher zum Ausdruck kommt.

Es sind die Kontraste, die Hit the Road ausmachen: Dem Klavierspiel aus dem Off wird abwechselnd mal Strassenlärm mal Stille entgegengesetzt; dem chaotischen, rasanten Wortwitz mit viel Bewegung stehen lange, ruhige Einstellungen mit ausdruckslosen Gesichtern gegenüber. Diese Gegensätze werden im Film geschickt zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt. Die Szenen im Auto finden auf engstem Raum statt. Kammerspielartig inszeniert, wird in diesen Momenten die Geschichte vorangetrieben. In diesen Szenen erfährt das Publikum denn auch mehr über den Grund der Reise. Wie Puzzleteile fügen sich diese Gesprächsfetzen schliesslich zusammen und bieten Antworten auf anfängliche Fragen. Dennoch verweigert sich der Film einer definitiven Aussage und beschränkt sich darauf, eine vage Stimmung von Aufbruch und Abschied zu erzeugen.

Wie schon sein Vater Jafar Panahi es in Taxi tat, nutzt Regisseur Panah Panahi in seinem Erstlingswerk das Auto dramaturgisch auf zwei Ebenen als Fortbewegungsmittel. Einerseits wird ein Weg zurückgelegt, andererseits entwickelt sich durch die Dialoge im Innern des Autos die Geschichte der Familie. Durch Panahis Entscheidung den politischen Aspekt, der den Alltag der iranischen Bevölkerung bestimmt, nicht zu stark in den Vordergrund zu drängen, sondern subtil in die Geschichte der Familie einzuarbeiten, entsteht eine berührende und witzige Familiengeschichte mit universeller Thematik.

Der Humor, der vor allem in der ersten Hälfte des Films stark ausgeprägt ist, trägt dazu bei, die Figuren dem Publikum näherzubringen und verleiht der Geschichte eine besondere Leichtigkeit. Gleichzeitig entwickelt sich durch das, was nicht ausgesprochen wird, eine unheilvolle Spannung. Freude und Trauer liegen oft nahe beieinander und Panahi zeigt dies auf einfühlsame Weise. Auch in den emotional anspruchsvolleren Szenen verliert der Film nie seine Leichtigkeit. Der Spiel mit Kontrasten zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film. Während sich in die Komik eine Unbehaglichkeit einschleicht, ist nach dem Stimmungswechsel zum Ende hin in der Traurigkeit immer noch eine gewisse Hoffnung und Freude spürbar.

Sule Durmazkeser [sul]

Sule schreibt seit 2019 als Freelancerin für OutNow. Sie ist Hitchcock-Fan, liebt das Hollywoodkino der Sechziger- und Siebzigerjahre und hat eine Schwäche für paranormale Horrorfilme und düstere Thriller. Mit dem derben Humor vieler US-Komödien kann sie wenig anfangen.

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Trailer Originalversion mit deutschen Untertitel, 1:36 © Filmcoopi