Harald Naegeli - Der Sprayer von Zürich (2021)

Harald Naegeli - Der Sprayer von Zürich (2021)

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  2. 99 Minuten

Filmkritik: Abgesang eines Alt-Punks

17. Zurich Film Festival 2021
Harald Nägeli, 82, mag Strichzeichnungen.
Harald Nägeli, 82, mag Strichzeichnungen. © Filmcoopi

Harald Nägeli, geboren in Zeiten, als man Tanzen noch als Schwofen bezeichnete, hat das Stadtbild Zürichs geprägt - ob sie das wollte oder nicht. Über Jahrzehnte sprayte er in Zürich an Wände. Sein Stil ist unverkennbar und doch simpel: meist mit einfachen Strichen, meist mit schwarzer Farbe und meist an nicht erlaubten Orten. Deswegen wurde er mehrfach angeklagt, verhaftet und eingesperrt. Doch keine Strafe brachte den selbsternannten Utopisten dazu, mit seiner Kunst aufzuhören.

Mittlerweile übermalt: Nägelis Sensenmann beim Fraumünster
Mittlerweile übermalt: Nägelis Sensenmann beim Fraumünster © Filmcoopi

Jetzt, im Alter von über 80 Jahren, schaut er auf sein Schaffen zurück. Was blieb, was verging, was wurde entfernt? Und auch im hohen Alter hat Harry Wolke, wie sich Nägeli auch nennt, weder seinen Sinn für Humor noch seinen Sinn für Rebellion verloren. Auch 2020, in der Coronazeit, sprayte er in Zürich. Nicht alle finden seine Werke schön oder erwünscht, doch eines ist klar: Seine Kunst sorgt für Diskussiosstoff in Kommentarspalten, der Kunstszene und der Politik.

Zwar ist Der Sprayer von Zürich etwas zahm geraten für den stetigen Rebell gegen das System, dennoch fasst es Harald Naegelis Wesen, Einstellung und Kunst gut zusammen. Dieser Abgesang des alternden Punks - mental, nicht unbedingt visuell - macht ihn einerseits sympathisch mit seiner lockeren Art und dem Fakt, dass er auch mit über 80 Jahren seine Hater und die Behörden aus reiner Überzeugung ärgert. Andererseits zeigt er sich aber auch verletzlich und nostalgisch, was Regisseurin Nathalie David gut einfängt. Ein unaufgeregtes Porträt über eine Kultfigur der Stadt Zürich, die - nicht wie ihre Sprayereien - nicht so schnell aus dem Stadtbild verschwinden wird.

Harald Naegeli ist ein rares Gut im Kunstbereich: Er scheint seine Kunst zu mögen, umgibt sich mit dieser und findet auch, dass sie bestehende Strukturen verbessere. Viele andere Künstlerinnen und Künstler leiden unter einer Art Imposter-Syndrom und halten sich für nicht gut genug. Naegeli schien dies nie zu kümmern. Diese Gelassenheit, die der Künstler auch im Dokfilm von Nathalie David an den Tag legt, macht Naegeli noch interessanter. Das unweigerlich Charmanteste an ihm ist aber, wie er über Jahrzehnte seine Hater und die Behörden ärgerte - und das aus Überzeugung.

Doch hinter seiner lockeren Art ist eine Nostalgie auszumachen. Zwar scheint er mit seinem Leben zufrieden und fürchtet laut eigenen Aussagen den Tod nicht, dennoch versucht er eine gewisse Trauer zu verbergen. Er wirkt wie eine Art melancholischer Alt-Punk, vor allem mit den Weisheiten, mit denen er hier um sich schlägt. «Die Krankheit ist ein Signal, dass man weg muss», sagt der kranke Mann. Diese Facette Naegelis, das Altern eines ideologischen Künstlers, eines Punks, fängt Regisseurin Nathalie David schön ein.

Sie vermischt in dieser Dokumentation Interviews mit Naegeli sowie ein paar «Gegnern» und Freunden, Archivaufnahmen und E-Mails, die er über die Zeit verschickt hat. Allgemein ist Der Sprayer von Zürich eine eher zurückhaltend inszenierte Doku, die etwas mehr Konflikt vertragen hätte, war Naegelis aktive Zeit als Sprayer doch sehr turbulent und konfliktreich. Stattdessen hat sich die Filmemacherin für ein ruhiges Porträt des Künstlers entschieden. So mag es nicht anecken, wie dies der Künstler tat und tut, fasst seine Ideologie und sein Wesen aber dennoch gut in sich zusammen.

Nicolas Nater [nna]

Nicolas schreibt seit 2013 für OutNow. Er moderiert seit 2017 zusammen mit Marco Albini den OutCast. Ausser für Geisterbahn-Horrorfilme, überlange Dramen und Souls-Games ist er filmisch wie spielerisch für ziemlich alles zu haben. Ihm wird aber regelmässig vorgeworfen, er hätte nichts gesehen.

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Trailer Deutsch, 02:03