Die Autorin Annie Ernaux ist für ihre autobiografischen Werke bekannt und gehört in Frankreich zu den renommiertesten Autorinnen der Nachkriegszeit. Ihr im Jahr 2000 erschienener Roman «L'Événement» erzählt von ihrer ungeplanten Schwangerschaft in den Sechzigerjahren und von der illegalen Abtreibung, die Ernaux fast das Leben gekostet hätte. Regisseurin Audrey Diwan adaptiert hier Ernaux' Geschichte, die auch nach knapp sechs Jahrzehnten nicht an Relevanz eingebüsst hat.
L'Événement gesellt sich damit thematisch zu Filmen wie Vera Drake und 4 Months, 3 Weeks & 2 Days, die sich mit dem Abtreibungsverboten in den Fünfziger- beziehungsweise Sechzigerjahren und den Schicksalen, die damit einhergehen, befassen. Der Film urteilt nicht; weder über Anne noch über ihre Mitmenschen, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten wollen oder deren Glaubenssätze schlicht nicht mit einem Schwangerschaftsabbruch vereinbar sind. Für die meisten der Charaktere ist das Thema ein Tabu und so fällt der Begriff «Abtreibung» im Film kein einziges Mal.
Mit der ungewollten Schwangerschaft verliert die sexuell selbstbestimmte Anne die Kontrolle über ihren Körper und damit über ihre Zukunft. Die Zeit läuft gegen sie, doch von ihrem Umfeld kann sie keine Unterstützung erwarten. In Zwischentiteln wird die jeweilige Schwangerschaftswoche angezeigt. Mit jeder Woche, die vorbeizieht, wächst Annes stille Verzweiflung. Da sie auch von ihrem Arzt keine Hilfe erwarten kann, greift die Studentin zu extremen Mitteln, die auch das Publikum herausfordern. So versucht sie zum Beispiel, den Fötus mit einer Stricknadel loszuwerden.
Regisseurin Diwan und Kameramann Laurent Tangy konfrontieren die Zuschauer in diesen Szenen mit einer brutalen Form der Intimität, inklusive einiger erschreckender Bilder, die lange nachhallen. Erscheint ihr Charakter emotional distanziert, sind die Zuschauer ganz nah dran an Anne und ihrem Körper. Ihr Schmerz ist spürbar, selbst wenn einige der extremsten Momente der Imagination überlassen werden.
Die Kamera weicht dann auf Annes Gesicht aus, ihr Atem beschleunigt sich vor Schmerz und Angst, und obwohl in manchen Szenen das Schlimmste nicht zu sehen ist, möchte man doch am liebsten wegschauen. Dies ist auch der Leistung von Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei zu verdanken, die die Rolle mit stoischer Intensität spielt.
Seit 1975 sind Abtreibungen in Frankreich legal und dennoch keine Selbstverständlichkeit. Bei unseren Nachbarn bleibt Abtreibung ein höchst kontrovers diskutiertes Thema. Umso wichtiger, dass Geschichten wie die von Anne in all ihrer Komplexität erzählt werden.