Cuban Dancer (2021)

Cuban Dancer (2021)

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  2. 90 Minuten

Filmkritik: Spagat zwischen zwei Kulturen

52. Visions du Réel 2021
Gar nicht so einfach, sich anzupassen.
Gar nicht so einfach, sich anzupassen. © Visions du Réel 2021

Der 15-jährige Kubaner Alexis ist ein vielversprechender Ballettschüler. An seiner Schule, der Cuban National Ballet School, wird er entsprechend gefördert. Tanzen ist seine grosse Leidenschaft und er arbeitet hart dafür. Seine Eltern tun ebenfalls ihr Möglichstes, um ihn dabei zu unterstützen. Doch die Situation ist nicht einfach. Die Familie kämpft mit finanziellen Schwierigkeiten. Zudem vermisst Alexis' Mutter ihre Tochter, die sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Denn Alexis' Schwester lebt in den USA und hat keine Möglichkeit, ihre Familie in Kuba zu besuchen. Als sich den Eltern die Gelegenheit bietet, in die USA auszuwandern, stellen sie ihren Sohn vor vollendete Tatsachen.

Eine Belastungsprobe für die junge Liebe.
Eine Belastungsprobe für die junge Liebe. © Visions du Réel 2021

Plötzlich steht Alexis' Leben kopf. Soll er bleiben und seine Ausbildung abschliessen? Soll er mit seinen Eltern in die USA? Kann er seine Ausbildung dort fortsetzen? Die Ungewissheit macht ihm zu schaffen und die Aussicht alles zurückzulassen, insbesondere seine Freundin, lässt ihm keine Ruhe. Doch die Eltern wollen ihn nicht in Kuba zurücklassen und so bleibt ihm schliesslich keine andere Wahl, als mit ihnen mitzugehen. Es ist kein einfaches Unterfangen. Die Sprachbarriere, ungewohnte Unterrichtsmethoden und starkes Heimweh zehren an ihm. Ein langwieriger und anstrengender Prozess der Anpassung beginnt.

Mit viel Fingerspitzengefühl und Empathie nähert sich Regisseur Roberto Salinas den Charakteren in seinem Dokumentarfilm. Er begegnet Alexis und seiner Familie mit dem nötigen Respekt. Der Film prangert nicht an und möchte auch kein Mitleid erhaschen. Vielmehr geht es bei Cuban Dancer darum, den Werdegang eines jungen Tänzers aus bescheidenen Verhältnissen aufzuzeigen.

Cuban Dancer begleitet Alexis und seine Familie zwischen 2015 und 2019 und dokumentiert die wichtigsten Wendepunkte im Leben des jungen Tänzers. Die Energie und Leidenschaft, die Alexis antreiben, sind immer spürbar und übertragen sich sehr bald auch auf das Publikum. Schnell ist man gefesselt vom Eifer und von der Disziplin des Teenagers, der trotz aller Widrigkeiten seinen Mut nicht verliert.

Dass der Film so gut funktioniert, liegt an der gekonnten Inszenierung von Roberto Salinas, der viele der Szenen selbst mit der Kamera festgehalten hat. Es gelingt ihm, ein Vertrauensverhältnis zu allen Personen im Film herzustellen, wodurch eine grosse Nähe erzeugt wird. Dies wiederum erlaubt es dem Regisseur, mit gezielten Fragen einen Einblick in die Gefühle und Gedanken der Charaktere zu erhalten. Beim Zuschauen merkt man das besonders daran, dass die Gespräche nie künstlich wirken. Die Personen scheinen, ganz im Gegenteil, die Kamera beinahe zu vergessen und unterhalten sich mit Salinas wie mit einem Freund.

Ein Aspekt, der den Film über das Dokumentarische hinausführt, sind die Tanzszenen. Sie eröffnen einen weiteren Zugang zur Innenwelt der Tänzerinnen und Tänzer. Die abstrakte, körperliche Darstellung der Emotionen untermalt das, was an anderen Stellen im Film in Worten ausgedrückt wird, oder nicht in Worte gefasst werden kann. Denn es ist nicht einfach, die eigenen Gefühle in Worte zu fassen, besonders nicht, wenn man ein Teenager ist, dessen Leben gerade auf den Kopf gestellt wird. Umso eindrücklicher ist es, wie solche Gefühle und Gedanken beim Tanzen abstrahiert werden können. Das Selbstbewusstsein und die Stärke, die bei Alexis in solchen Momenten deutlich werden, bilden schon fast einen schmerzhaften Kontrast zu den Gesprächen, bei denen Ungewissheit, Unsicherheit und Verletzlichkeit durchscheinen.

Cuban Dancer ist ein intimes Porträt eines jungen Tänzers, das insbesondere durch seinen respektvollen Umgang mit den Porträtierten besticht. Ohne zu werten, begleitet der Film Alexis durch diese entscheidenden vier Jahre seines Lebens und erlaubt es dem Publikum, einen unvoreingenommenen Einblick in dieses Leben zu erhalten.

Sule Durmazkeser [sul]

Sule schreibt seit 2019 als Freelancerin für OutNow. Sie ist Hitchcock-Fan, liebt das Hollywoodkino der Sechziger- und Siebzigerjahre und hat eine Schwäche für paranormale Horrorfilme und düstere Thriller. Mit dem derben Humor vieler US-Komödien kann sie wenig anfangen.

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