C'mon C'mon (2021)

C'mon C'mon (2021)

  1. 109 Minuten

Filmkritik: Allein mit Onkel Johnny

«Jetzt bloss nicht den Kopf in den Sand stecken!»
«Jetzt bloss nicht den Kopf in den Sand stecken!» © Pathé Films

Der New Yorker Radiojournalist Johnny (Joaquin Phoenix) arbeitet an einer Reportage, für die er Jugendliche in den gesamten USA zu ihrer Zukunft befragt. Nach einem Anruf seiner Schwester Viv (Gaby Hoffmann) muss er jedoch diese Arbeit für kurze Zeit unterbrechen. Vivs Ehemann Paul (Scoot McNairy) hat mit schweren psychologischen Problemen zu kämpfen und braucht so jede Hilfe, die er kriegen kann. Während dieser schweren Zeit soll sich Johnny alleine um seinen neunjährigen Neffen Jesse (Woody Norman) kümmern.

Ein ganz normaler Pandemiemorgen.
Ein ganz normaler Pandemiemorgen. © Pathé Films

Zuerst verbringen die beiden viel Zeit in Jesses bekannter Umgebung. Weil aber ab einem gewissen Punkt die Arbeit ruft, nimmt Johnny Jesse mit auf seinen Roadtrip durch die USA und lernt so langsam, was es wirklich bedeutet, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Obwohl beide zuerst überfordert wirken, schaffen es Johnny und Jesse nach und nach eine tiefe, emotionale Verbindung zueinander aufzubauen.

C'mon C'mon beleuchtet die gleichzeitig fragile und starke Verbindung zwischen Kindern und Erwachsenen. Regisseur und Drehbuchautor Mike Mills hat darüber einen äussert ruhigen Film geschaffen, auf dessen gemächliches Tempo und sein Thema man sich vollkommen einlassen muss - sonst wird es schnell anstrengend. All jene, die sich einfühlen können, erhalten eine herzerwärmende Tragikomödie mit einigen Momenten, die sowohl Kind als auch Erwachsenem bekannt vorkommen könnten.

Regisseur und Autor Mike Mills drohen bald die Familienmitglieder auszugehen, über die er Filme drehen kann. Für seinen feinfühligen Beginners (Oscar für Christopher Plummer) liess er sich von einem Vater inspirieren, für seinen tragikomischen 20th Century Women von seiner Mutter und in C'mon, C'mon setzt er sich nun mit der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern auseinander; Mills selbst hat seit 2014 mit der Regisseurin Miranda July (Me and You and Everyone We Know) einen Sohn. Er wollte sich mit dieser zunächst verwirrenden, dann immer aufschlussreicheren Erfahrung der Veränderung auseinandersetzen. So verwundert es nicht, dass ihm mit C'mon C'mon wieder ein sehr feinfühliger und genau beobachtender Film mit dem Herzen am rechten Fleck gelungen ist.

C'mon C'mon ist nicht für jedermann und jedefrau. Das Erzähltempo ist äusserst gemächlich und grosse emotionale Ausbrüche und Highlights sind fast keine auszumachen. Das ist natürlich Absicht. Es ist ein Film übers Zuhören und das Aufbringen von Verständnis. Kinder können - wie übrigens auch Erwachsene - äusserst irrational sein und ihre eigenen Tics haben. Aber das ist laut diesem Film ok. Es ist eine Frage der Geduld und so scheint der Film nicht auf Kinder herabzusehen, sondern in die Knie zu gehen, um ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Empathie wird bei C'mon C'mon grossgeschrieben und wer sich darauf einlassen und in die Figuren einfühlen kann, wird mit einem berührenden Film belohnt, der auch von Joaquin Phoenix (in seiner ersten Rolle nach Joker) und inbesondere von dem zwölfjährigen Woody Norman toll gespielt ist.

Bei aller Liebe wirkt der Film zwischendurch aber auch etwas gekünstelt. Vorgelesene Buchpassagen und Monologe lassen den Film unnötig prätentiös wirken. Hier scheint Mills wohl auch noch etwas den gebildeten Erwachsenen bieten zu wollen, erinnert dabei aber eher an Ratgeber zum Thema «Kind». Das wäre gar nicht nötig, wird vieles davon schon von den wunderschönen Schwarzweiss-Bildern ausgedrückt. Weniger wäre hier zwar mehr gewesen, doch dem positiven Gesamteindruck kann dies nichts anhaben. Bleibt nun zu hoffen, dass nicht wieder fünf Jahre bis zu Mills nächstem Werk ins Land ziehen. Oder wie ungeduldige Fans sagen würden: «C'mon (c'mon), Mike!»

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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Trailer Englisch, mit deutschen und französischen Untertitel, 01:26