Es ist der Albtraum eines jeden: Ein Justizsystem mit Löchern, so gross wie in Schweizer Käse, wird zur unberechenbaren Ungerechtigkeit, die unerwartet schwere Folgen nach sich zieht. Genau diesen Ansatz verfolgt Justin Chon in seinem neusten Film: Eine Unsauberkeit im Umgang mit dem Status von adoptierten Kindern sorgt dafür, dass diese keinen permanenten Aufenthaltsstatus in Amerika erhalten, obschon sie als Kleinkind in eine amerikanische Familie adoptiert wurden. Sie können so willkürlich aus dem Land deportiert werden, in eine Heimat, die sie grösstenteils nicht einmal wirklich kennen.
Sinnbildlich für das Schicksal vieler in den Achtzigern und Neunzigern adoptierter Kinder steht hier Antonio, ein Koreaner, der am eigenen Leib und mit voller Gewalt spüren muss, was es heisst, den Boden unter den Füssen zu verlieren. Die Story setzt ein mit einer Rückblende, die erst im späteren Verlauf richtig gedeutet werden kann. Bereits hier schwingt - bei einem Jobinterview - unterschwelliger, aber doch offen gezeigter Rassismus mit, der sich durch den ganzen Film durchziehen wird. Dann werden die Charaktere eingeführt. Alles scheint herrlich zu sein, nichts das Idyll trüben können, eine scheinbar perfekte Familie, wie sie im Bilderbuch steht. Die Szenen gehen ans Herz, dabei wissen sowohl Justin Chon selbst wie auch Alicia Vikander und die kleine Jessie zu überzeugen. In wundervollen Bildern wird dieser Atmosphäre Rechnung getragen.
Doch oftmals endet alles schneller als erwartet: Eine Kleinigkeit bringt das Kartenhaus zum Einsturz; nichts soll mehr sein, wie es war. Der Spannungsbogen und damit die Bandbreite an Emotionen nimmt exponentiell zu. Eine stets angedrohte Eskalation beginnt die zuvor geflochtene Story zu zerreissen. Doch auch jetzt gibt es noch immer Lichtblicke, Momente, die Hoffnung aufkommen lassen und an die anfänglichen Szenen anknüpfen. Blue Bayou ist ein sehr intensives Drama, das einerseits den Justizapparat anklagt, gleichzeitig aber auch die gesellschaftlichen Folgen aufzeigt.
Die Bilder sind bestechend inszeniert, trumpfen mit einer magischen visuellen Sprache auf. So werden neben Lens-Flares und Farbspielereien auch körnige, unscharfe Szenen verwendet; Unterwasseraufnahmen deuten sowohl Vergangenes wie Bevorstehendes an. Musikalisch schwebt der Film von Leichtigkeit durch Indie-Töne hin zu einer schweren, depressiven Grundstimmung durch dröhnend-orchestrale Untermalung.
Die Story nimmt dann im letzten Drittel noch einmal richtig Fahrt auf, wirkt in dieser Spanne dann gehetzt und zu ambitioniert. Einige Parts der Story hinterlassen einen zu konstruierten Eindruck, der dadurch entstehenden Dramaturgie des Finales wegen. Den entstandenen Emotionen tut dies aber nur bedingt Abbruch. Blue Bayou hinterlässt einen emotional stark angekratzt, wünscht man sich solch ein Schicksal doch für keine Familie.