Wir erinnern uns alle an die Berichte über die erschreckenden Zustände in italienischen Knästen, die im EU-Ländervergleich unter aller Sau sind, und in denen Gefangene übelst misshandelt wurden. Darüber einen Film zu drehen, scheint naheliegend zu sein, aber nicht so der Filmemacher Leonardo di Costanzo: Mit seinem dritten Spielfilm trachtet er nach viel Grundlegenderem.
Der Filmtitel Ariaferma heisst auf Deutsch so viel wie verriegelte oder stille Luft und lässt auf eine zugfreie Umgebung in einem geschlossenen Raum schliessen. Ein geschlossener Raum für eine geschlossene Gesellschaft, wie wir es aus Jean-Paul Sartres «Huis Clos» kennen, eignet sich dafür, theoretisches Situationstheater für eine tiefgründigere Abhandlung zu fabrizieren. So verhält es sich auch beim Gefängnis Mortana. Es ist ein imaginärer Ort, an dem Wärter und Sträflinge desorientiert auf unbestimmte Zeit festsitzen.
Dafür gibt uns bereits die Eröffnungssequenz einen Wink: Nachdem die Credits auf einem grauen, wolkigen Hintergrund erscheinen, in Begleitung eines entrückenden Chorgesangs auf der Tonspur, folgen in rhythmischem Schnitt Einstellung um Einstellung in Nebel verhangene Steinlandschaften zwischen Himmel und Erde, eine Art Zwischenwelt, in der das Gefängnis steinig unscheinbar verortet wird. Der sorgfältig konstruierte Film hinterfragt das Gefängnis als strafende Instanz und versteht es gekonnt, uns ohne Moralapostel-Fingerzeig zum Nachdenken anzustupsen. Es geht um eine komplexe Frage, die der Philosophie eigen ist: Wie viel Gefängnis braucht die heutige Gesellschaft überhaupt?
Wer nichts für Subtext übrig hat, kann sich an einem beeindruckenden schauspielerischen Zweikampf erfreuen, der an die Klasse eines Clashs zwischen Al Pacino und Roberto de Niro rankommt. Denn mit Toni Servillo und Silvio Orlando stehen sich zwei grosse Stars des italienischen Kinos gegenüber, die wir spätestens seit La Grande Bellezza (Toni Servillo als melancholischer Lebemann) und The Young Pope (Silvio Orlando als intriganter Kardinal) kennen. In den Rollen des unsicheren Chefwärters (Toni Servillo) und des undurchschaubaren Mafiabosses (Silvio Orlando) kreuzen sie sich in Ariaferma die Klingen, mit duellierenden Blicken, die mehr als Worte sagen. Dabei zeigt uns der Film, wie Macht funktioniert: als Fähigkeit, auf andere einzuwirken, sodass sie sich in ihrer gesellschaftlichen Position unterordnen.
Der Plot ist unspektakulär, aber spannend. Dafür sorgen nicht nur die Ungewissheit, wie lange die Figuren in einer Übergangssituation verharren müssen, sondern auch das faszinierende Machtspiel zwischen Wärter und Insassen. Ein intelligenter Film mit dem Mut, vielgetrampelte Pfade zu verlassen.