Spagat (2020)

Spagat (2020)

  1. 110 Minuten

Filmkritik: Lehrer sind auch nur Menschen

16. Zurich Film Festival 2020
Flexibilität ist hilfreich im Leben.
Flexibilität ist hilfreich im Leben. © Zurich Film Festival

Marinas (Rachel Braunschweig) Leben erhält neuen Aufschwung, als sie sie sich auf eine Affäre mit dem Ukrainer Artem (Alexey Serebryakov) einlässt. Die Lehrerin Mitte Vierzig führt zu Hause in einem abgelegenen Dorf in den Schweizer Bergen eigentlich ein erfülltes Familienleben mit ihrem liebevollen Ehemann und ihrer jugendlichen pubertären Tochter. Doch Artem, dessen Tochter Ulyana (Masha Demiri) Marinas Klasse besucht, übt eine ungemeine Faszination auf sie aus und ermöglicht ihr, längst verborgene Gefühle neu zu entdecken.

Als einem Mädchen aus Marinas Klasse die teuren neuen Kopfhörer gestohlen werden, fällt der Verdacht auf Ulyana. Obwohl Artem gegenüber Marina beteuert, dass Ulyana nicht klaut, zeigt sich das Gegenteil, als Marina die Kopfhörer in Ulyanas Zimmer liegen sieht. Der Diebstahl und eine Verkettung von unglücklichen Umständen bringen Artem und Ulyana in grosse Schwierigkeiten, weil sie sich seit Jahren ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhalten. Und Ulyanas Traum von der Teilnahme am lokalen Kunstturnwettbewerb rückt damit in weite Ferne.

Christian Johannes Kochs Spielfilmdebüt hat es in sich. Sein ruhiges und sorgfältig inszeniertes Drama ist keine leichte Kost und behandelt diverse Themen wie die Liebe, das Familienleben und die Migration auf authentische Weise. Mit der Verpflichtung von Leviathan-Hauptdarsteller Alexey Serebryakov ist ihm ein wahrer Coup gelungen und Rachel Braunschweig sowie Masha Demiri komplettieren einen vorzüglich aufspielenden Cast in den zentralen Rollen. Spagat ist ein origineller, erfrischend mutiger Beitrag für die Schweizer Filmlandschaft!

Der Schweizer Filmemacher Christian Johannes Koch macht es sich wahrlich nicht einfach für sein Spielfilmdebüt. Der Regisseur, der selbst auch am Drehbuch mitwirkte, beschäftigt sich in Spagat gleich mit mehreren komplexen Themen. Die Liebe im fortgeschrittenen Alter, Familie, Jugend und Pubertät, sportlicher Ehrgeiz, Migrationsprobleme - auf den ersten Blick wirkt dies, als hätte er sich für seine Erzählung zu viel vorgenommen. Und in der Tat hätte eine sorgfältigere Fokussierung dem Film vielleicht nicht geschadet. Aber auch wenn Koch vieles in seine Geschichte reinpackt, kombiniert er all dies insgesamt sehr schön und das Erzählte findet grösstenteils seine Berechtigung.

Die komplizierte Liebesbeziehung zwischen den Hauptfiguren Marina und Artem und all die Probleme, welche die illegale Aufenthaltsbewilligung des Ukrainers und seiner Tochter mit sich bringen, sind mit viel Tragik verbunden. Es ist keine leichte Kost, die hier aufgetischt wird und dies wird auch visuell gut untermalen, indem die Bilder vorwiegend dunkel, düster und kühl gestaltet sind. Der Schauplatz des abgelegenen Dorfes in der schneebedeckten Winterlandschaft ist damit ideal gewählt für die Geschichte.

Ebenso gut gewählt ist die Besetzung der zentralen Rollen in Spagat. Rachel Braunschweig scheint sich mit der Hauptfigur Marina richtig gut identifizieren zu können. Sie überzeugt in der Darbietung dieser herausfordernden Rolle als Frau, deren Handlungen und Verhalten nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen sind. Kochs Verpflichtung des russischen Schauspielers Alexey Serebryakov ist eine kleine Sensation. Der Leviathan-Hauptdarsteller passt perfekt in die Rolle des Migranten, zumal er selbst nach Kanada ausgewandert ist und mit ähnlichen Problemen konfrontiert worden ist. Mit seiner unglaublichen Leinwandpräsenz brilliert er als Artem.

Und zu guter Letzt muss auch der jungen Masha Demiri ein grosses Kompliment ausgesprochen werden. Ihr Schauspieldebüt meistert sie auf beeindruckende Weise und ihre spektakulären Kunstturn-Szenen bieten eine sehr angenehme Abwechslung inmitten der ganzen Tragik und der vorwiegend düsteren Atmosphäre.

Gianluca Izzo [gli]

Gianluca ist seit 2013 als Freelancer für OutNow tätig. Er liebt es, verborgene Perlen an Filmfestivals zu entdecken, insbesondere in Venedig. Neben seinem Faible für italienische und skandinavische Filme bewundert er die Werke von Scorsese, Lynch, Villeneuve und Chazelle sowie die Bond-Klassiker.

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Trailer Schweizerdeutsch, mit deutschen Untertitel, 01:54