Misbehaviour (2020)

Misbehaviour (2020)

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  3. 106 Minuten

Filmkritik: Ungehorsam im Namen des Anti-Establishments

16. Zurich Film Festival 2020
Aktivismus live
Aktivismus live © Pathé Films

London 1970: Die Miss-World-Wahl erfreut sich grosser Beliebtheit, und das sehr zum Ärger der Aktivistinnen des «Women's Liberation Movement». Auch die Geschichtsstudentin und alleinerziehende Mutter Sally Alexander (Keira Knightley) stört sich am Frauenbild, das die Wahl propagiert. Genervt davon, als Frau nie ernst genommen zu werden, schliesst sie sich den Aktivistinnen an. Das Miss-World-Finale findet in diesem Jahr in London statt und wird vom amerikanischen Entertainer Bob Hope (Greg Kinnear) moderiert. Die Frauen sehen darin die einmalige Gelegenheit, auf unkonventionelle Weise auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen und die Darstellung der Frauen als reine Schönheitsobjekte anzuprangern.

Zwei Welten treffen aufeinander
Zwei Welten treffen aufeinander © Pathé Films

Zur gleichen Zeit bereiten sich hübsche junge Frauen aus allen Ecken der Welt auf die Wahl vor. Darunter ist auch Jennifer Hosten (Gugu Mbatha-Raw), die erste Miss Grenada. Sich vorzubereiten heisst aber nicht nur schön auszusehen, sondern sich auch diplomatisch und korrekt zu verhalten. Denn viele politische Würdenträger sind in den Wettbewerb involviert und ein falsches Wort zur Presse kann die Missen nicht nur die Krone kosten, sondern gravierendere politische Konsequenzen nach sich ziehen.

Überzeugende Darstellerinnen, kluge Dialoge und ein gutes Händchen für den Zeitgeist der damaligen Zeit machen Misbehaviour absolut sehenswert. Die Liebe zum Detail in Kostüm und Ausstattung lässt die Siebzigerjahre nochmals aufleben. Die Geschichte erlaubt einen Zugang, der unterschiedliche Positionen berücksichtigt und der Vielschichtigkeit der Debatte Rechnung trägt.

Es sind eine Szene und ein Dialog, die besonders im Gedächtnis bleiben: Nach der Show treffen sich Sally und Jennifer zufällig auf der Toilette. Erstere ist kurz davor, von der Polizei abgeführt zu werden. Letztere wurde soeben als erste dunkelhäutige Frau zur Miss World gekürt. Es sind zwei Welten, die in diesem kurzen Moment aufeinanderprallen. Es folgt kein Zickenkrieg, keine gegenseitigen Anschuldigungen. Was deutlich wird, ist der Kampf, den beide Frauen auf ihre Weise führen.

Es ist aber auch eine leise Kritik einem Feminismus, der verallgemeinert, statt zu differenzieren. Denn was für die weissen Aktivistinnen ein Zeichen der Unterdrückung und Objektifizierung darstellt, ist für viele dunkelhäutige Frauen ein Ausweg. «I look forward to having your chances», ist denn auch das Einzige, was Jennifer auf Sallys Argumente erwidert.

Diese Szene ist ein Beispiel dafür, was den Film ausmacht. Regisseurin Philippa Lowthorpe lässt verschiedene Vertreterinnen und Vertreter der Debatte zu Wort kommen, statt aus dem Thema eine Entweder-oder-Frage zu machen. So lassen sich beim Zuschauen Aspekte erschliessen, die einem vielleicht gar nicht bewusst waren.

Ebenfalls positiv ist der Umstand, dass sich der Film dem Thema mit Humor und einer gewissen Leichtigkeit nähert. Basierend auf wahren Begebenheiten, die sich an der Wahl zur Miss World 1970 ereignet haben, erzählt der Film unaufgeregt und fesselnd zugleich die damalige Situation unterschiedlichster Frauen. Der bewusst breit angelegte Fokus verhindert es, dass die Geschichte zu einem einseitigen Plädoyer verkommt.

Misbehaviour ist kurzweilig und unterhaltsam. Der Film lebt vor allem durch seine klugen Dialoge, in der jede Haltung immer wieder neu hinterfragt wird. Zudem droht er trotz der Schwere der Thematik nicht in Hoffnungslosigkeit zu versinken.

Sule Durmazkeser [sul]

Sule schreibt seit 2019 als Freelancerin für OutNow. Sie ist Hitchcock-Fan, liebt das Hollywoodkino der Sechziger- und Siebzigerjahre und hat eine Schwäche für paranormale Horrorfilme und düstere Thriller. Mit dem derben Humor vieler US-Komödien kann sie wenig anfangen.

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