Anche stanotte le mucche danzeranno sul tetto (2020)

Anche stanotte le mucche danzeranno sul tetto (2020)

Kühe auf dem Dach
  1. 82 Minuten

Filmkritik: Alpenzeichen XY

Alpiner Boxenstopp
Alpiner Boxenstopp © First Hand Films

Das Gefälle ist stark, wo die Käserei Alpe d'Arena steht. Für die Ziegen und Kühe, die sich hier herumtreiben, ist das unwegsame Gelände zwar ein Zuckerschlecken, für die Menschen jedoch kann in dieser Abgeschiedenheit ein falscher Tritt tödlich sein. Die Naturgewalten, die das Valle di Vergeletto beherrschen, lassen seine Schönheit blitzschnell in Bedrohlichkeit umschlagen. Fabiano Rauber hat sich daran gewöhnt. Er bewirtschaftet die Alpe d'Arena; seine Existenz gründet auf seiner Arbeit hier oben. Mit seiner schwangeren Partnerin und den Hilfskräften um sich, lebt der Hippie-Sohn das Leben, wie es ihm gefällt.

«So einen Bizeps hatte ich auch mal.»
«So einen Bizeps hatte ich auch mal.» © First Hand Films

Die Arbeit ist hart, das Einkommen gering, günstige und gute Arbeiter sind gefragt. 2016 stellte Fabiano den Makedonier Nikola ein und zahlte ihm dessen Lohn schwarz aus. Dann verschwindet der wieder. Fabiano dachte sich nichts Böses dabei, stellt andere Arbeiter ein. Zehn Monate später findet ein Wanderer Nikolas Bein. Sofort steht Fabiano im Fadenkreuz der Behörden und der Bevölkerung. Doch nicht nur den medialen Druck bekommt er zu spüren, auch wirtschaftliche Sorgen und moralische Zweifel drücken immer stärker auf sein Gemüt.

Aldo Gugolz' Dokumentation verzahnt Bergbauernporträt und Kriminalfall so stimmig, dass sie selbst davon überrumpelt zu sein scheint. Impressionen der garstigen Landschaft und der vom Leben gezeichneten Persönlichkeiten lassen immer wieder vermuten, wo diese Geschichte hingehen könnte. So wird die Spannung konstant hoch gehalten - und der Film zum Schluss unverhofft brisant.

Als einer eine Ziege melkt, stösst eine andere dazu und leckt ihm den nackten Rücken ab. Hier ernährt man sich gegenseitig. Robust, zäh und genügsam muss der sein, der hier oben die Monate verbringen will. Doch unter der stabilen Schale dieser Bergbauern verbirgt sich ein labiler Kern. Emotionale Probleme, finanzielle Schulden und Zukunftsängste begleiten die Abgeschiedenheit und Bescheidenheit; der Schnaps ist hier ein gern gesehener Gast. Hier oben wird, wie ein Knecht im Film sagt, das Alpenglühn schnell einmal zum Albtraum; nicht nur wegen der architektonischen Ähnlichkeit der Berghütte durchzieht diesen Film unweigerlich ein Sennentuntschi-Groove.

Währenddem aber dort, im Mythos um die zum Leben erwachte Strohpuppe, eine Sage das Fundament der Geschichte bildet, entwächst hier das Ungeheuerliche einer tatsächlichen Leiche. Auch wenn der Todesfall des makedonischen Schwarzarbeiters nicht die Erzählung dominiert, dringt sie doch überall durch. Seit diesem Vorfall bestimmen eine latente Angst, gesellschaftliche Ächtung und wirtschaftliche Abstriche das Leben auf der Alpe d'Arena. Um den Arbeitsalltag sollte es denn hier auch hauptsächlich gehen, doch so fest Gugolz darauf fokussieren will, umso stärker drängt sich der ungelöste Fall wieder in den Vordergrund - und findet hier durch unverhoffte Wendungen eine Geschichte, die er gar nicht gesucht zu haben scheint.

So taucht man nach gut 80 Minuten wieder aus einer Kette von Ereignissen auf, die - trotzdem sie Fakten sind - verblüffend fiktiv wirkten. Wie man zu Beginn noch über diejenigen den Kopf geschüttelt hat, die in den Geschehnissen im Valle di Vergeletto ums Verrecken einen kaltblütigen Mord gesehen zu haben meinen, gesteht man sich nun ein, dass das Narrativ des grauenhaften Alpenmordfalles auch in der Realität eben doch mehr ist als einfach nur Käse.

Tom von Arx [arx]

Für OutNow schaut Tom seit 2015 Filme und detektiert seit 2019 Stilblüten und Vertipper. Der Profi-Sprecher und überzeugte Hufflepuff lässt sich gerne bei sublim konstruierten Psycho-Thrillern vom metaphysischen Gruseln packen und wünscht sich eine tierleidfreie Welt voller biggest little farms.

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Trailer Italienisch, mit deutschen und französischen Untertitel, 01:28