Eindrücklich spürt der Film seinen beiden Hauptfiguren nach. Mutter und Sohn wirken wie zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Mutter ist ein verbitterter Charakter. Ihr einziges Kind soll jung sterben, so die Prophezeiung. Statt ihm deswegen alle Freiheiten zu lassen, damit es das kurze Leben geniessen kann, überträgt sie auf jenes ihre Trauer; eine Trauer, die mehr als nur irrational wirkt, solange Muzamil noch am Leben ist. Während Muzamils Vater unter dem Vorwand ausserhalb des Dorfes Geld zu verdienen, die Situation flieht, fügt sich Muzamil. Er schaut zu, wie seine Mutter jeden Tag, den er überlebt hat, an der Wand anstreicht. Sein Schicksal trägt er wie ein Stigma. Die Figur des Jungen steht für einen unerfüllten Lebensdurst und gleichzeitig auch für eine ausserordentliche Opferbereitschaft, die schliesslich seine Rebellion verhindert.
Das Haus, das die beiden teilen, ist in dunkles Licht getaucht, es wirkt eng und ungemütlich. Es scheint das Innenleben der Mutter zu widerspiegeln. Im Gegensatz dazu scheint draussen die Sonne gleissend. Das Land ergiesst sich in die Ferne, an der Küste erstreckt sich das Meer weit hinaus und lockt mit einem verführerischen Versprechen. Doch das Meer ist auch Unheilbringer, denn darin verschwinden die Menschen nach ihrem Tod. Fremde Bräuche, Rituale und Glaubensrichtungen üben immer eine gewisse Faszination auf «Unwissende» aus. Der Regisseur ermöglicht uns eine sensible Annäherung an dieses bisher im Filmgeschäft wenig in Erscheinung getretenes Land. Er hütet sich dabei aber davor, etwa zu moralisieren.
Auf der einen Ebene unterhält You Will Die at 20 mit seiner aussergewöhnlichen Handlung, einer präzisen Charakterzeichnung und einer einheitlichen, künstlerisch wertvollen Bildsprache. Im Film geht es nicht nur um die Mutter-Sohn-Beziehung, sondern auch um eine zarte Liebesgeschichte, die zum Scheitern verurteilt ist sowie um eine kurzzeitige Freundschaft zwischen zwei Seelenverwandten. Die Dichte der Argumentation macht die Stärke des Films aus.
Der Film präsentiert sich aber auch als metaphysische Parabel. Was passiert, wenn ein Mensch, seinen Todestag kennt? Mit dem Thema haben sich viele Autoren in der Literatur und im Film beschäftigt, darunter Elias Canetti in seinem Stück «Die Befristeten» (1964) oder A. F. Th. Van der Heijden in seinem Roman «Ein Tag, ein Leben» (1988). Letzterer wurde 2009 vom Niederländer Mark de Cloe verfilmt (Het leven uit een dag) und 2015 erschien Jaco van Dormaels Satire Le tout nouveau testament. Die meisten Autoren kommen zum Schluss, dass es zwar notwendig ist für den Menschen, den Tod als Tatsache anzuerkennen, aber ein unbeschwertes Leben mit dieser Kenntnis schwierig bis unmöglich erscheint. Mit You Will Die at 20 reiht sich Amjad Abu Alala in diese Diskussion ein. Er hat einen eindrücklichen Debütfilm geschaffen, in den viel Verständnis und Zuneigung für sein Land eingeflossen ist.