Bei seiner Weltpremiere in Cannes lief der neusten Film des brasilianischen Regisseurs Karim Aïnouz (O Abismo Prateado) unter dem langem Titel A Vida Invisível de Eurídice Gusmão. Diesen trug auch die Romanvorlage von Martha Batalha. Dies ist jedoch nicht nur die Geschichte der Eurídice, sondern auch jene ihrer Schwester Guida, die in dem wunderschön gefilmten, tragischen Stück Kino ebenfalls ein unsichtbares Leben führt. Unter anderem in Deutschland bekam das Werk den passenderen Titel "Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão" verpasst. Und auch in Brasilien hat man Monate später eine Korrektur vorgenommen, wo der Streifen jetzt noch A Vida Invisível heisst. Nun besteht zwar die Gefahr, dass man sich später vielleicht den gleichnamigen portugiesischen Film aus dem Jahre 2013 nach Hause holt, doch passt dieser neue Titel viel besser, da die beiden Schwestern im Film für die vielen Frauen stehen, die trotz grosser Träume ein nicht von vielen wahrgenommenes Leben führen müssen.
Aïnouz' Werk ist dabei eines der ganz grossen Gefühle, ohne jedoch kitschig zu sein. Das Schicksal der beiden Schwestern berührt, da sie vielmehr aufgrund von Worten und weniger wegen Taten getrennt werden. Diese Einfachheit ist erschütternd und die Zusammenkunft der beiden scheint während der Laufzeit immer in greifbarer Nähe zu sein. Ob es dazu kommen wird, wollen wir natürlich nicht verraten. Aïnouz zeukelt sein Publikum jedoch nicht die ganze Zeit über mit Beinahe-Aufeinandertreffen, sondern tut dies eigentlich nur in einer einzigen, dramatischen Restaurant-Szene. Ansonsten zeigt er die wahrlich nicht freiwillig eingeschlagenen Wege von Eurídice und Guida gleichermassen, wobei die zwei Storys auch sehr gut für sich alleine funktioniert hätten. Die Verbindung bringt dann Spannung und noch mehr Emotionen, während es in den einzelnen Abschnitten auch immer wieder lebensbejahende Abschnitte gibt. A Vida Invisível hat zwar Tragik im Kern, doch reines Depri-Kino ist das nicht. Es darf auch mal gelächelt werden und die Bilder sind von einer fast schon traumhaften Schönheit. Die beiden Hauptdarstellerinnen sind zudem grossartig, wobei Julia Stockler in der Rolle der Guida mit ihrem Lächeln zwischendurch an eine junge Eva Green erinnert.
Neben einem Familiendrama ist dies natürlich auch eine Anklage an patriarchale Strukturen. Hier sagt der Mann, was geht und was nicht. Nicht nur der Vater tut dies, sondern auch die Regierung. Stellvertretend ist da eine Szene, in der Guida mit ihrem Kind nach Wien reisen möchte, um die sich laut ihrem Vater dort befindende Schwester zu besuchen. Doch die Reise wird ihr verwehrt. Begründung: Der Vater des Kindes von Guida muss seine Einwilligung geben. Das kann wütend machen und ist auch nicht immer so subtil. Doch wie Guida trotzdem ihren Weg mit erhobenem Kopf geht, ist beeindruckend und steht für die Stärke von Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen - und so eben sichtbar werden. Zwar gibt es gegen Ende hin einen etwas gar heftigen Zeitsprung, doch ansonsten ist dies episches Werk, das einen mitnimmt und noch eine Weile begleiten wird - und das bei weitem nicht nur wegen des Filmtitels.