Ähnlich wie The Godfather beginnt Il traditore mit einem rauschenden Fest, hinter dessen fröhlicher Fassade die Mafiabosse ihre Fäden ziehen. Ob das nun ein beabsichtigtes Zitat des berühmtesten aller Mafiafilme ist oder ein Zufall, sei dahingestellt. Auf jeden Fall nimmt der Film dann den umgekehrten Verlauf: War es im Coppola-Film der Auftakt zu einer Aufstiegsstory innerhalb der kriminellen Organisation, steht das Fest hier am Anfang einer Entwicklung, die zu einem der spektakulärsten Prozesse gegen das organisierte Verbrechen in der Geschichte Italiens (und nicht nur Italiens) führte.
Dank den Aussagen von Tommaso Bruscetta konnte über 300 teilweise hochrangigen Mafiosi der Prozess gemacht werden. Sie sitzen teilweise heute noch hinter Gittern oder sind - wie im Fall des gefürchtetsten Oberhauptes Toto Riina, der im Film auch eine Nebenrolle spielt - im Gefängnis verstorben. Der "Verräter", der sich selbst natürlich ganz anders sieht, ist dabei eine durchaus zwiespältige Hauptfigur: Es ist ein Krimineller, der nicht etwa aus selbstlosen Motiven handelt, sondern aus einem verqueren Ehrengefühl und natürlich auch, um seinen eigenen Arsch zu retten. Die Identifikation mit einer solchen Figur fällt als Zuschauer demnach nicht ganz einfach. Und doch schafft es Hauptdarsteller Pierfrancesco Favino, diesem Killer ein menschliches Antlitz zu geben, sodass die Sympathien während der Prozessszenen dann auch klar auf seiner Seite sind.
Diese Prozessszenen sind der Kern des Filmes von Marcho Bellocchio und auch dessen stärkster Teil. Die inhaftierten Mafiabosse, die wie kleine Könige hinter Gittern den Prozess verfolgen und mit Zwischenrufen und Showeinlagen stören, sind ein Bild, das absurd lustig sein könnte, wäre es nicht so bedenklich. Denn das hat sich in unserem Nachbarland vor 30 Jahren tatsächlich so abgespielt, genauso wie das Attentat auf Giovanni Falcone - hier gespielt von Fausto Russo Alesi - im Jahr 1992, was den italienischen Richter posthum zu einer Ikone der Anti-Mafia-Bewegung gemacht hat. Auf jeden Fall ist diese Prozessshow mit den Wortgefechten der Cosa-Nostra-Mitglieder spannend mitzuverfolgen.
Das kann man leider nicht von dem ganzen Film behaupten. In seiner unruhigen, etwas sprunghaften Inszenierung - die an Bellochhios frühere Werke wie Vincere erinnert - nutzt er sich mit zunehmender Spielzeit ein wenig ab. Dazu trägt auch bei, dass die Zeitsprünge anfangs noch in relativ kurzen Abständen erfolgen, gegen Ende des Zweieinhalbstünders aber mal schnell mehrere Jahre übersprungen werden. So wirkt Il traditore zwischenzeitlich ein wenig abgehackt. Dennoch wirft er ein eindrückliches Scheinwerferlicht auf die Welt des organisierten Verbrechens, die um einiges realer und daher auch bedrohlicher rüberkommt als die im berühmten amerkanischen Genrekollegen.