Nach der psychosexuellen Entwicklung von Sigmund Freud durchlebt das Kind im ersten Lebensjahr die orale Phase: Es steckt sich sämtliche erreichbaren Gegenstände in den Mund und ertastet sie mit der Zunge, sowohl die Oberflächenstruktur als auch die Materialbeschaffenheit und die Konsistenz. In dieser Phase wird im besten Falle das Urvertrauen zu den Eltern entwickelt, welches massgebend für die menschliche Bindungsfähigkeit im späteren Leben sein wird. Was aber hat Sigmund Freud mit dem neusten und erst zweiten Film von Carlo Mirabella-Davis zu tun? Wie der Titel es bereits verraten könnte, geht es um die orale Konsumation von Gegenständen. Denn die Protagonistin Hunter leidet am Pica-Syndrom, welches die Betroffenen dazu veranlasst, ungeniessbare Dinge zu essen.
Der Film beginnt gemächlich, es wird die mehr oder minder glückliche Ehe von Hunter und Richie gezeigt. Alles scheint gut und wünschenswert, nichts kann das Eheglück trüben. Doch bald zeigt sich, dass alles Bisherige nur Fassade war, die wahren Charakterzüge der beiden kommen ans Licht. Vorbei ist das ungestörte Leben in luxuriösem Haus mit Geld en Masse und entstehendem Babyglück. Getragen wird der Film von einer fantastisch agierenden Haley Benett (The Girl on the Train), deren wunderbar melancholisch-getrübter Blick perfekt in diese Rolle passt. Sie alleine trägt den Film über dessen Laufzeit von 94 Minuten durch ihre beachtliche schauspielerische Leistung. Die Rollen von Richie und dessen versnobten Eltern wissen ebenfalls zu gefallen, benötigen beim Acting allerdings weitaus weniger Gesichtsyoga als diejenige von Benett.
Das gemächliche Erzähltempo von Swallow entpuppt sich als grosser Pluspunkt, es lässt dem Publikum genügend Zeit, sich mit den Charakteren und deren Veränderungen vertraut zu machen. Dabei wird auf Sensationsgeilheit gänzlich verzichtet, das Drama bleibt stets realitätsnah und weiss genau, wann was gezeigt werden muss, um zwar zu provozieren, aber ohne dabei auf plumpe Schockmomente zu setzen. Das sich langsam anbahnende Fiasko entwickelt sich vielmehr im Kopf der Zuschauenden als auf der Leinwand selbst.
Der Film befasst sich intensiv mit dem Thema Fassade: Alles scheint in Ordnung zu sein, nichts deutet auf eine Krankheit oder ein Unglück hin. Hinter der makellosen Fassade bröckelt allerdings der Gips ab, nur scheint dies lange niemand zu bemerken. Ein intensives, packendes Drama entsteht, welches mit einigen Thrill-Elementen und Gegenständen für ein flaues Gefühl in der Magengegend sorgt. Die langsamen, einsamen Bilder sind optisch sehr schön eingefangen und untermalen die Abgeschiedenheit der Wohnlage wie auch Hunters Seele im Bezug zu ihren Mitmenschen. Dabei bleibt bis zum Schluss ungeklärt, woher die Neigung plötzlich kam, ob sie mit körperlichen Veränderungen einherging oder bereits zuvor bestand und nur unterdrückt wurde.