Midsommar (2019)

Midsommar (2019)

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  2. 147 Minuten

Filmkritik: Furchteinflössender als IKEA an einem Samstag

Alles Gute kommt von oben - NOT!
Alles Gute kommt von oben - NOT! © Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.

Dani (Florence Pugh) macht gerade eine äusserst schwere Zeit durch. Ihr Freund Christian (Jack Reynor) ist dabei nicht wirklich die dringend benötigte Unterstützung. Schlimmer noch: Christian ist kurz davor, die Beziehung zu beenden. Doch nachdem Dani einen schweren Schicksalsschlag erleidet, bleiben die beiden zusammen. Christian lädt seine Freundin sogar noch auf einen Trip nach Schweden ein, den er mit seinen drei Freunden geplant hat.

«Das ist doch alles Pille-Palle, Pelle!»
«Das ist doch alles Pille-Palle, Pelle!» © Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved.

Besucht werden soll ein nur alle 90 Jahre stattfindendes, neun Tage andauerndes Volksfest auf dem Lande, von dem ihr schwedischer Kollege Pelle (Vilhelm Blomgren) schon lange schwärmt. So geht es für die vier Amerikaner zu einer friedlichen Kommune, wo sie halluzinogene Pilze essen, bei alten Bräuchen zuschauen und so schnell die Alltagssorgen vergessen. Zu spät scheinen Dani und die drei Jungs jedoch zu realisieren, dass sie immer mehr Teil eines heidnischen Rituals werden …

Getragen von einer brillanten Florence Pugh ist Midsommar einer der wohl abartigsten «Break-up Movies» aller Zeiten. Regisseur und Autor Ari Aster hat nach Hereditary ein weiteres verstörendes Werk geschaffen, das viele vor den Kopf stossen wird, während andere noch Wochen später angeregt darüber diskutieren werden. Intelligentes und emotional vernichtendes Horrorkino für Leute mit starken Mägen.

«Was zum Teufel läuft falsch mit dir, Ari Aster?!» Dies dürften nicht wenige nach dem Anschauen dieses Filmes denken. Nach seinem nervenzerfetzenden und ebenfalls nicht zurückhaltenden Hereditary hat der Amerikaner mit Midsommar nachgelegt. Dabei hat er einen sonnendurchflutenden Albtraum geschaffen, der einen ordentlich durchschüttelt und beweist, dass das furchteinflössende Debüt kein Zufall war.

War Hereditary mehr Familien-Drama als klassisches Jump-Scare-Fest, hat sich Aster bei dem gewählten Genre für seinen Neusten ebenfalls nicht gerade das beliebteste unter den Durchschnitt-Horrorfilmfans ausgewählt. Denn der Regisseur und Drehbuchautor sieht seinen Film als «Break-up Movie». Weiter weg als der Film mit Jennifer Aniston und Vince Vaughn könnte Midsommar jedoch nicht sein. Aster zeigt eine ungesunde Beziehung mit wenig Liebe, dafür aber voller Abhängigkeiten. Dass dies in die Brüche gehen wird, ist so klar wie die Tatsache, dass wohl nicht alle der US-Touristen wieder sicher nach Hause kommen werden. Denn schon mit der allerersten Einstellung und dem unheimlichen Soundteppich von Bobby Krlic aka «The Haxan Cloak» etabliert Aster eine Bedrohung, die sich durch den ganzen Film zieht.

Das ist umso mehr erstaunlich, da Midsommar zu fast 90 Prozent im Hellen spielt. Denn das besuchte Fest im Film findet im Norden von Schweden statt, wo die Sonne im Sommer auch in den späten Abendstunden immer noch scheint - gedreht wurde übrigens in Ungarn. Während in den meisten Horrorfilmen irgendwelche Teenies in der Nacht dunkle Gänge herunterschleichen, ist hier alles scheinbar immer sichtbar. Doch trotzdem gibt es natürlich Verborgenes, das es für die Protagonisten und die Zuschauer zu entdecken gibt und man so deshalb gespannt dranbleibt.

Wer keine Neugierde aufbringen kann, wird es schwer haben. Dies ist ein Film, auf den man sich komplett einlassen muss. Die Themen sind schwer, gewisse Sequenzen aufgrund ihres Gewaltgrades fast nicht aushaltbar und das Gefühl der Machtlosigkeit kann einen fertig machen. Einige Sachen sind jedoch unfreiwillig komisch, und warum die Figuren nicht mit Nachdruck versuchen, dem Ganzen zu entfliehen, ist ebenfalls etwas seltsam. Zudem ist das Ende gewöhnungsbedürftig. Doch ruft man sich Asters Worte in den Sinn, dass wir hier einen Film über das Ende einer Beziehung schauen, ist es konsequent und so machen die letzten Minuten auf eine kranke Art und Weise durchaus Sinn. Florence Pugh in der Rolle der labilen Dani ist den ganzen Film durch grossartig, lässt einen die Verlorenheit ihrer Figur spüren und hat einen grossen Anteil am Gelingen des Ganzen.

Midsommar wird heftige Reaktionen auslösen und einige dazu bringen, das Kino vor dem Abspann zu verlassen. Alle anderen werden einen Trip erleben, den sie so schnell nicht vergessen und über das Gesehene noch lange diskutieren werden. Wir meinen: «Was zum Teufel läuft falsch mit dir, Ari Aster und wann lässt du uns wieder in deinen abgefuckten und brillanten Kopf blicken?!»

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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