Kill It and Leave This Town (2019)

Kill It and Leave This Town (2019)

  1. 88 Minuten

Filmkritik: Schrecken voller Erinnerungen, Erinnerung voller Schrecken

18. Internationales Festival für Animationsfilm Fantoche 2020
Dunkelheit liegt über allem.
Dunkelheit liegt über allem. © Mariusz Wilczyński

Trostlos und düster ist das Leben in der polnischen Industriestadt Łódź. Unermüdlich blasen Schornsteine schwarzen Rauch aus, verdunkeln den Himmel über der ohnehin schon grauen Stadt. Die Menschen sind verbittert und desillusioniert. Teilnahmslos und gefühlskalt schleppen sie sich durch den Alltag. Zwischen ihnen wandelt der Animationsfilmer Mariusz. Die Stadt ist seine Heimat und auch seine Vergangenheit. Sie ruft Erinnerungen in ihm wach, die er zu verarbeiten versucht.

Surreale Fantasie oder doch eine Erinnerung?
Surreale Fantasie oder doch eine Erinnerung? © Mariusz Wilczyński

Bilder aus Mariuszs Kindheit tauchen auf, doch alles hat einen bitteren Beigeschmack. Der strenge, desinteressierte Vater, der nicht mal während des gemeinsamen Ausflugs ans Meer Freude empfinden oder Nähe zeigen kann. Die ständig erschöpfte Mutter, die es nur mit grösster Mühe aus dem Bett schafft. Eine unausgesprochene Traurigkeit, die über allem liegt. Diese Erinnerungen nehmen immer surrealere Züge an. Fantasie, Traum und Wirklichkeit fliessen schliesslich ineinander, bis nicht mehr klar ist, was tatsächlich passiert ist und was nicht.

Kill it and Leave this Town ist ein düsterer Ausflug in eine surreale Welt. Trotz - oder gerade wegen - der schlichten Darstellungsweise mit skizzenhaften Bildern erzeugt der Film eine zutiefst verstörende und zugleich berührende Wirkung. Das ist definitiv keine leichte Kost und nichts für Zartbesaitete. Dass eine klassische Erzählstruktur fehlt und das Ganze aus lose miteinander verknüpften Fragmenten besteht, erschwert zusätzlich den Zugang. Für Fans des Surrealismus und Animationsfilms mit künstlerischem Anspruch sicherlich sehenswert.

Kill it and Leave this Town ist der erste Langfilm des Künstlers und Animationsfilmers Mariusz Wilczyński. Das Werk trägt autobiografische Züge, doch werden diese immer wieder durch albtraumhaft-groteske Szenen und Figuren unterbrochen. Angelegt ist der Film zudem auf mehreren Zeitebenen, die nicht der klassischen Erzählstruktur folgen. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine filmische Collage, die erst durch das Bruchstückhafte seine Wirkung entfaltet. Das Gefühl von Orientierungslosigkeit, Angst und Traurigkeit wird durch diese Herangehensweise ausgedrückt. Allerdings macht das den Film auch schwer zugänglich. Denn die ständigen Wechsel in Ort und Zeit sowie zwischen Traum und Wirklichkeit werfen Fragen auf, die unbeantwortet bleiben.

Visuell wird die Geschichte in schlicht anmutenden Bildern umgesetzt. Die Figuren sind auf Papier skizziert und werden stellenweise auch ausgeschnitten und auf den Hintergrund gelegt. Auch wenn die Zeichnungen einfach gehalten sind, bemerkt man immer wieder die Liebe zum Detail, die dahintersteckt. Ob es nun Fliegen oder Spinnen sind oder aber ein kleines Bild an der Wand.

Farblich ist der Film düster gehalten, um die bedrückende Stimmung der Geschichte zu untermauern. Nur hier und da gibt es einzelne Farb- und Lichtelemente, die Akzente setzen: das satte Rot des Blutes, die rote Schleife im Haar oder das Licht der Strassenbahn. Sie durchbrechen das Dunkel, lenken das Auge und hallen immer noch nach, obwohl die Szene schon vorbei ist. Auch das trägt zur Melancholie der Szenerie bei und verstärkt das Gefühl der Vergänglichkeit.

Kill it and Leave this Town ist ein künstlerisch anspruchsvolles Werk, das viel Raum zur Interpretation lässt. Sich darauf einzulassen kann ziemlich anstrengend sein, aber auch sehr spannend.

Sule Durmazkeser [sul]

Sule schreibt seit 2019 als Freelancerin für OutNow. Sie ist Hitchcock-Fan, liebt das Hollywoodkino der Sechziger- und Siebzigerjahre und hat eine Schwäche für paranormale Horrorfilme und düstere Thriller. Mit dem derben Humor vieler US-Komödien kann sie wenig anfangen.

  1. Artikel
  2. Profil