First Cow (2019)

First Cow (2019)

  1. 121 Minuten

Filmkritik: Die einsame Kuh

70. Internationale Filmfestspiele Berlin 2020
Äs isch emal en Toby gsi …
Äs isch emal en Toby gsi … © Sister Distribution

Otis «Cookie» Figowitz (John Magaro) ist der Koch einer Gruppe von Pelzfängern. Beim Pilzesammeln steht ihm plötzlich ein nackter Chinese gegenüber, der sich auf der Flucht vor einer Gruppe Russen befindet. Cookie versorgt King-Lu (Orion Lee) mit Essen, verbirgt in unter Decken und gibt ihm so die Möglichkeit, versteckt mit der Bande mitzureisen. Im Schutz des Waldes kann sich King-Lu absetzen und verschwinden.

Versehentlich ans Malick-Set gelaufen?
Versehentlich ans Malick-Set gelaufen? © Sister Distribution

Einige Zeit später treffen die beiden Männer in der Bar der Royal West Pacific Trading Post wieder aufeinander. Der Chinese lädt Cookie in seine Hütte ein, wo die beiden fortan zusammen leben. Zur gleichen Zeit findet die einzige Kuh der Gegend Obhut bei einem englischen Grundbesitzer. Cookie, der einst in Boston eine Bäckerlehre absolvierte, fängt mit der heimlich gestohlenen Milch der Kuh an, ein Ölgebäck herzustellen. Zusammen mit King-Lu bietet er sein Produkt auf dem Markt an. Der Erfolg überwältigt beide, die Nachfrage wächst von Tag zu Tag. Mit der Zeit findet man jedoch heraus, woher die zwei ihre Zutaten beziehen und bald wird nach ihnen gefahndet.

Auch wenn First Cow nicht in erster Linie von einer wertvollen Milchkuh handelt, ist diese ein wichtiges Instrument für den Verlauf der Geschichte. Die ungewöhnliche Freundschaft zweier Männer im rauen Oregon der 1820er Jahre nimmt nicht zuletzt dann Fahrt auf, als deren Arbeit vom Leben der Kuh abhängig wird. Ein unterhaltsames Drama mit zwei tollen und glaubwürdigen Schauspielern.

Im Oregon der heutigen Zeit entdeckt eine junge Frau beim Spaziergang mit ihrem Hund in den Wäldern zwei vergrabene menschliche Skelette. Sie wirken wie ein Liebespaar, scheinen sie doch Händchen zu halten. Im Amerika der Gegenwart holt uns der Film ab und schlägt dann schnell den Bogen in die 1820er Jahre. Hier versucht er die Verbindung zu den anfangs gefundenen Skeletten herzustellen und beginnt die Geschichte der Knochen zu erzählen. Die Basis von First Cow der amerikanischen Independent-Regisseurin Kelly Reichardt bildet der Roman «The Half-Life: A Novel» von Jonathan Raymond, der sich ebenfalls in zwei Handlungsstränge gliedert.

Die erste Stunde des Films ist etwas zäh geraten. Mit viel Ruhe und langen Einstellungen zeigt Reichardt die Natur, fliessende Gewässer, die Bande der Pelzfänger in ihrem Lager oder begleitet Cookie auf seiner fast schon mediativen Pilzsuche. Es sind schöne Bilder des rauen und einfachen Lebens sowohl der Ureinwohner als auch der Einwanderer. Sie alle versuchen mit einfachen Mitteln zu überleben und ihr Leben bestmöglich zu gestalten. Ab Filmhälfte gewinnt die Geschichte an Fahrt, denn hier treffen die ungleichen Freunde ein zweites Mal aufeinander. Wie der Einzelgänger Cookie, der nie richtig Anschluss findet, mit King-Lu erstmals zu jemandem eine Verbindung aufbauen kann und wie sich aus ihrer zunächst rein zweckmässigen Wohngemeinschaft eine vertrauensvolle und tiefe Freundschaft entwickelt, ist amüsant, ergreifend und unterhaltsam mitanzusehen.

Kelly Reichardt zeichnet ein realistisches Bild der Jäger, Indianer und Händler der damaligen Zeit. Das bildet aber nur den Rahmen für die eigentliche Geschichte der beiden Männer. John Magaro und Orion Lee spielen zwei völlig unterschiedliche Charaktere und es macht Spass zu verfolgen, wie sie zueinanderfinden. Dabei bleibt der Film stets Drama und driftet nie zur Komödie ab, lässt aber auch offen, wie eng die Beziehung der Männer zueinander ist. Der Wert der wahren Freundschaft steht so im Mittelpunkt des Dramas; er zeigt aber auch, wie sich Menschen in einer noch fremden Gesellschaft den bestmöglichen Platz erarbeiten, um daraus den höchsten Nutzen für sich selbst zu ziehen.

Julia Stache [jst]

Julia ist seit 2007 Freelancerin bei OutNow und kommt aus Berlin. Seit 2002 ist sie regelmässig bei der Berlinale dabei. In Jane-Austen-Filmen kann sie träumen und mitleiden. Sehr angetan haben es ihr Thriller, Christian Bale und James McAvoy.

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