Luc Besson ist mit Ausnahme von vielleicht Léon nicht gerade für subtile Filme bekannt. Er klotzt lieber, anstatt zu kleckern, tut dies aber jeweils handwerklich absolut hervorragend. In Anna ist das ein weiteres Mal zu sehen. Der Agenten-Thriller, der sich beim ersten Hinhören wie eine Neuauflage von Bessons La Femme Nikita anhört, ist mit seinen vielen Twists deutlich näher bei Atomic Blonde - ohne jedoch die Klasse von David Leitchs Charlize-Theron-Action-Knaller zu erreichen.
Denn Besson hält sein Publikum anscheinend nicht für sehr schlau. So erklärt er jede noch so kleine Wendung minutenlang, auch wenn das bedeutet, dass wir viele Szenen zweimal zu sehen bekommen. Auch Zeitsprünge kündigt er lieber deutlich an, man könnte den Zuschauer ja verwirren. So tauchen im etwas umständlich erzählten Film etwa alle 20 Minuten Texttafeln auf, die klarmachen, wie viele Monate wir soeben vor- oder zurückgesprungen sind. Anstatt die Bildsprache anzupassen, drückt einem Besson den Wechsel lieber voll ins Gesicht. Kann man so machen. Ziemlich peinlich hingegen sind die Dialoge zwischen Protagonistin Anna und ihrer Geliebten, die sich eigentlich immer nur um Sex drehen. Als hätten zwei junge verliebte Frauen nichts anderes zu besprechen!
Kann man diese Dinge jedoch ausklammern, serviert einem Besson weitgehend durchaus ansehnliches Actionkino. Herausragend ist eine mehrminütige Kampfszene in einem Restaurant, die sich rein von der Inszenierung und der Choreographie her nicht vor einem John Wick 3 - Parabellum zu verstecken braucht. Auch sehr hübsch ist eine Kill-Montage zum INXS-Hit «Need You Tonight».
Aber eben: Anna ist kein reiner Baller-Film, sondern ein Agenten-Thriller mit allem, was dazugehört: Verrat, Täuschungen und Verführungen sind Teil dieser brutalen Welt, in der ein Menschenleben nicht viel bedeutet. Auch wenn sie mit dem Megaphon erklärt werden, überzeugt der Grossteil der Twists und Sasha Luss gefällt in ihrer ersten grossen Hauptrolle. Das russische Supermodel war übrigens schon in einem kleinen Part in Bessons zu Unrecht gefloppter Space-Opera Valerian als Alien zu sehen.
In Anna muss sie vor allem eine toughe Figur spielen, der offenbar selbst ein Dutzend bewaffneter Leute nichts entgegenzusetzen hat. Das ist zwar nicht realistisch, spielt aber in diesem überhöhten Spionage-Karusell keine Rolle. Denn unterhaltsam ist das Ganze auch aufgrund einer kratzbürstigen Chefin (von Oscarpreisträgerin Helen Mirren mit Genuss gespielt). Ein Aufeinandertreffen der starken Luc-Besson-Frauenfiguren Nikita, Lucy und Anna würden wir uns auf jeden Fall ansehen.