Während der Zweite Weltkrieg in Filmen schon aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet wurde, behandelte das Kino den Ersten Weltkrieg bislang eher stiefmütterlich. Das ist verständlich, war doch der Krieg zwischen 1914 und 1918 lange Zeit ein monotoner, unspektakulärer Grabenkrieg. Nur mühsam konnte Land gewonnen werden und die Soldaten verbrachten viel Zeit mit Warten.
Leute, die nicht herumsitzen durften, waren die sogenannten Meldeläufer, die flugs Nachrichten überbringen mussten. Nachdem Peter Weirs deren Arbeit intensiv in den letzten 30 Minuten von Gallipoli beleuchtete, fokussiert nun Sam Mendes während ganzen 110 Minuten darauf, wie zwei Soldaten versuchen, von A nach B zu kommen. Dabei ist ihm ein äusserst effektiver Spannungsfilm gelungen, der eines der intensivsten Kinoerlebnisse der letzten Monate bietet.
Als Kameramann waltete der grossartige Roger Deakins, welcher mit seinem Team 1917 so gedreht hat, dass man das Gefühl bekommt, das Ganze sei fast an einem Stück aufgenommen worden. Das geübte Auge erkennt zwar, wo geschnitten wurde, doch das Ergebnis ist nichtsdestotrotz beeindruckend. Die Kamera folgt den beiden Meldeläufern auf Schritt und Tritt und führt uns so in die zerstörte und angsteinflössende Welt ausserhalb des Schützengrabens.
Eine Vorstellung der Charaktere im klassischen Sinn findet zu Beginn nicht statt; es geht direkt los mit ihrer Mission. Zu Beginn verfolgt man daher das Geschehen weniger der Figuren wegen, denn mehr aufgrund des Interesses, was da wohl noch alles auf einen zu kommen möge. Da die Kamera immer an den Figuren klebt, ist auch recht schnell klar, dass mindestens einer der beiden diesen Horror überleben dürfte. Trotzdem ist 1917 durchwegs spannend, denn überall lauert die Gefahr, die einen der beiden ins Jenseits schicken könnte. Auch die Bilder schlagen mit voller Wucht zu. Überall Tote, Ratten und zerbombte Gebäude: Die Leute des Set-Design haben ganze Arbeit geleistet; vieles wirkt unangenehm realistisch.
Auf eine ständig tickende Uhr, wie sie in Christopher Nolans Dunkirk zu hören war, verzichtet Mendes zwar, dennoch ist man sich der Dringlichkeit und des Verrinnens der Zeit den ganzen Film über bewusst. Einen grossen Anteil daran hat auch Thomas Newmans fast durchgehender Score, der die Handlung vorwärts treibt. Zwar kommt 1917 nicht ganz an jenes Niveau der panikartigen Zustände heran, welche Dunkirk beim Zuschauer auszulösen vermochte, er verfehlt es aber nur haarscharf.
Dafür punktet Mendes im Direktvergleich bei den Gefühlen. Zwar scheint der Film die ganze Zeit über in Bewegung zu sein, dennoch gönnt er den Protagonisten und dem Zuschauer kurze Pausen, in denen sich die aufgrund des Zeitdrucks und des überall lauernden Todes aufgestaute Spannung zwischenzeitlich etwas entladen darf. Hier zeigt sich dann auch, dass 1917 nicht nur bildlich, sondern auch emotional eine unglaubliche Kraft besitzt. Für genau solche Werke wurde das Kino gemacht!