Es ist eine unechte, sterile Welt, in der sich die Protagonistinnen von Pearl aufhalten: So fake wie ihre Augenbrauen und die falsche Bräune sind auch die Tapeten mit Sonnenuntergang und vorgegaukelter Meeressicht im Hotel Eden Palace, in dem sich alljährlich die Crème de la Crème der europäischen Bodybuilder trifft. Die Frauen, die optisch eher Hulk in Sonnenstudio-Braun gleichen, treten zur prestigeträchtigen Wahl der "Miss Heaven" an, lassen ihre Muskeln spielen und sich von einer Jury rund herum begutachten.
Aber die Welt des Bodybuilding scheint nicht nur unecht, sondern ebenso oberflächlich zu sein. Appearance over all, Platz für Menschlichkeit scheint kaum zu bleiben. Beinahe in Whiplash-artiger Manier wird Lea von ihrem Coach Al erniedrigt, gezwungen, Medikamente zu schlucken und kontrolliert. Fast entsteht der Verdacht auf Sklaverei. Zeit für Nähe, Liebe oder Geborgenheit scheint keine zu bleiben.
Leas Charakter wirkt in dieser Phase emotional stark unterkühlt. Und auch das Auftauchen ihres Sohnes ändert dies nicht schlagartig. Erst zum Ende hin schafft sie es, emotional aufzutauen. Leider etwas zu spät, denn der Charakter bleibt so lange unsympathisch, dass der Wandel keine allzu grosse Rolle mehr spielt. Wie steril diese Welt, in der sich alles um Äusserlichkeiten dreht, wirklich ist, zeigen die Vorbereitungen für den Wettbewerb: Nebenräume und Couloirs werden gänzlich mit Plastik ausgekleidet, als hätte man Angst vor einem Tropfen Schweiss oder einem Spritzer Bräunungscrème. Ein starker Kontrast, der hier entsteht zwischen hart trainierender Muskelfrau und liebender Mutter - ein Kontrast, der nie ganz aufgehoben werden kann.
Technisch macht der Film einiges richtig. Es gibt lange Szenen, in denen die Kamera Bewegungen, Läufe von Protagonistinnen aufnimmt. Diese sind durch einen intensiven Soundtrack und langsame Kameraführung geprägt. Die Dialoge fehlen hier ganz, es entstehen reine Momentaufnahmen in der konzentrierten Wettkampfvorbereitung. Übermässig viele Dialoge gibt es auch sonst nicht: Ausser einer in die Jahre kommenden Bodybuilderin scheinen sämtliche Persönlichkeiten eher wortkarg zu sein. Wesentlich ausgeprägter hingegen sind die Bilder, die teilweise mit ihrem hohen Kontrast, den Glitzereffekten durch Ohrschmuck, Körperlotion oder Bademantel und Detailreichtum überzeugen. Besonders häufig zum Einsatz kommen Close-ups von Körpern oder Körperpartien beim Training und beim Posieren.
Im Gegenzug aber gelingt es der Regisseurin in der Charakterzeichnung nicht, den Wandel von Lea für die Zuschauer vollständig nachvollziehbar zu gestalten. Dafür wirkt diese lange zu distanziert und gleichgültig ihrem Kind gegenüber. Die Szenen, in denen sich die beiden annähern und über Spiderman und Hulk diskutieren, gefallen durch feinfühligen Humor und eine gelungene Chemie zwischen den Akteuren. Mit nur 80 Minuten Laufzeit reicht die Zeit allerdings nicht aus, um umfassendere Charakterbildung zu vollziehen, so besteht stets eine gewisse Distanz zwischen Zuschauern und den Charakteren.