Wer in den Neunzigern öfter mal an einem Kiosk vorbeikam, wird sich vielleicht noch an sie erinnern: Als eine der wenigen US-Comicreihen, die auch hierzulande publiziert wurden, fielen Cloak & Dagger - oder wie sie bei uns hiessen: Licht & Schatten - durch die auffällige Optik auf, bestand das Paar doch aus einem schwarzen Mann mit enormem wallenden Umhang und einer hübschen blonden Frau im hautengen weissen Anzug, dessen Ausschnitt buchstäblich bis unter den Bauchnabel reichte. Diese, ähem, Offenherzigkeit lässt die TV-Version freilich komplett weg. Trotzdem weiss die Serie durch eine ganz eigenwillige Ästhetik zu überzeugen, welche auf spannende Weise mit der Erzählweise verwoben wird.
1982 von Autor Bill Mantlo und Zeichner Ed Hannigan in einem Spider-Man-Comic eingeführt, erhielten die Comic-Figuren ihre Kräfte ursprünglich durch die Injektion einer experimentellen Droge. So einfach macht es sich die Serie des Disney-Jugend-Spartensenders Freeform natürlich nicht. Im Gegenteil, denn es braucht tatsächlich ein bisschen Geduld, bis man endlich den Durchblick hat, wie die beiden Hauptfiguren miteinander verbunden sind und wie ihre Superkräfte genau funktionieren. Anstatt die übliche Origin-Story zu erzählen, nimmt sich die Serie dabei viel Zeit, um die Etablierung der Figuren über mehrere Folgen hinweg langsam aufzurollen. Überraschenderweise agieren die beiden Azubi-Helden sogar über einen grossen Teil der ersten Staffel getrennt voneinander. Ein klassisches Heldenduo, oder gar eine Liebesgeschichte, ist hier definitiv nicht zu erwarten.
Aufsehenerregend sind insbesondere die zahlreichen Traumsequenzen, in denen die eigentlichen Kräfte des Duos - nämlich die Hoffnungen und Ängste der Menschen offenzulegen - erlauben, die innersten Motive von Figuren bildlich umzusetzen. Weil hier erfreulicherweise auch immer wieder Mut zur Lücke gezeigt wird, wirken diese Sequenzen wunderbar trippy und trotzdem nicht bloss als visuelle Spielerei. Das gelungene Zusammenspiel von Figurenzeichnung, Handlung und Ästhetik ist auch den tollen Hauptdarstellern zu verdanken, die nicht nur optisch eindrückliche Gegensätze darstellen, sondern auch wunderbar komplexe Charaktere verkörpern.
Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann ist dies der Gegner: Roxxon - jawohl, die böse Firma, die unter anderem schon bei Agent Carter und Daredevil Erwähnung fand - ist nicht wirklich bedrohlich, was sich gerade in der letzten Folge zeigt, wo das begrenzte Budget deutlich spürbar ist. Das vermag den Gesamteindruck der ersten Staffel aber nicht zu trüben. Zudem verleiht gegen Ende hin die Stadt New Orleans und deren mythisches Potenzial der üblichen Superheldenstory einen ganz eigenen Spin. Mit der zusätzlich eingewobenen Prise Sozialkritik ist dieser neuste Ableger des MCU also definitiv mehr als "bloss" eine Teenie-Serie.