Loveless - Nelyubov (2017)

Loveless - Nelyubov (2017)

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  2. 127 Minuten

Filmkritik: Mother Russia is not watching you

70e Festival de Cannes 2017
Noch hier
Noch hier © cineworx

In der Beziehung zwischen Zhenya (Maryana Spivak) und Boris (Alexei Rozin) herrscht schon länger kein eitler Sonnensein mehr. Die Liebe, wenn denn je eine da war, ist schon längst erloschen, was auch ihr Sohn Alyosha (Matvey Novikov) zu spüren bekommt. Der Junge muss sich nachts anhören, wie sich Mutter und Vater aufs Wüsteste beschimpfen. Mit der Ehe und leider auch mit Alyosha scheinen beide abgeschlossen zu haben. Sie möchten ihn beide aus ihrem Leben haben, um nochmals neu anzufangen. Als der Junge dies eines Abends mitbekommt, verlässt er am nächsten Morgen die Familienwohnung und taucht ab.

Jetzt nicht mehr
Jetzt nicht mehr © cineworx

Erst zwei Tage später merken Mama und Papa das Verschwinden ihres Sohnes und verständigen die Polizei. Diese wollen jedoch erstmals abwarten und sehen, ob der Junge von selbst wieder zurückkommt. Als Tipp bekommen die Eltern aber mitgeteilt, dass sie eine Freiwilligenorganisation kontaktieren sollen, welche sich auf der Verschwinden von Kindern spezialisiert hat. Diese nehmen den Job an und beginnen mit den Eltern eine Suche nach dem Jungen, die je länger denn mehr aussichtslos erscheint.

Loveless ein packendes Drama und Russland-Anklageschrift in einem. Die einfache Story um das Verschwinden eines Kindes wird mit langen Takes erzählt, welche die Ungewissheit steigern, wodurch ein fast schon zermürbendes Erlebnis entsteht. Ein aufwühlender Film, der noch länger im Gedächtnis bleiben wird.

Der russische Regisseur Andrey Zvyagintsev ist bekannt dafür, dass er gerne gegen sein Heimatland austeilt. In seinem oscarnominierten Epos Leviathan war das zentrale Thema die Korruption, gegen die der kleine Mann keine Chance hat. In Loveless zeichnet Zvyagintsev nun erneut ein Bild eines kalten Russlands, dem die eigenen Kinder egal sind und dies übel enden könnte.

Es ist vor allem das Bild des still weinenden Alyosha, welches auch nach dem Film in Erinnerung bleibt. In einer der ersten Szenen sehen wir, wie Mama und Papa über die Zukunft ihres Sohnes streiten, wobei auch eine Abschiebung ins Militär in Betracht gezogen wird. Dass der Junge dies alles mitbekommt, sehen wir erst am Ende dieser Sequenz. Es bricht das Herz. Trotzdem wäre es vor dessen Verschwinden wünschenswert gewesen, mehr Zeit mit dem Kind verbracht zu haben. Eine Verbindung mit ihm entsteht nur, weil er ein armes, unschuldiges Kind ist. Das funktioniert zwar, doch der Spannungsfaktor bei der Suche wäre noch höher gewesen, hätten wir den Jungen ein bisschen besser gekannt.

Zvyagintsev setzt auch wie bei seinen anderen Filmen auf lange Takes, die auch mal etwas länger dauern als nötig. Während man sich bei einigen Szenen den Schnitt herbeiwünscht, schaffen es andere, Ambiguität zu generieren. Ein Mann, der ein A4-Plakat über das Verschwinden von Alyosha sieht und dann langsam ins Dunkle verschwindet, eine Lehrerin, welche ihre Wandtafel putzt, worauf die Kamera langsam ans Fenster zoomt. Wissen die beiden etwas oder haben sie sogar mit dem Verschwinden des Jungen direkt zu tun? Diese Ungewissheit ist quälend.

Die Kritik an Russland ist derweil überdeutlich. Alyoshas Mutter (lies: Mütterchen Russland) ist kalt gegenüber jenen, denen sie Liebe zeigen sollte und zeichnet gegen aussen - in diesem Fall auf Instagram - ein schöneres Bild von sich selbst, als es in Wirklichkeit ist. Auch die Behörden werden in Loveless gnadenlos abgestraft. Die Polizei hilft nicht, also muss sich das Volk, hier eine Freiwilligenorganisation, selber helfen. Diese pessimistische Sicht zieht sich durch den ganzen Film und wird auch nochmals in einer der letzten Szenen überdeutlich, bei der es dem Zuschauer kalt den Rücken herunterläuft.

Loveless fehlt zwar die epische Story von Leviathan, doch was Zvyagintsev aus der einfachen Story alles im Subtext herausholt, ist beachtlich. Leichte Kost geht anders, aber aufwühlend und damit sehenswert ist das Ganze schon.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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