Sieranevada (2016)

Sieranevada (2016)

  1. , ,
  2. 173 Minuten

Filmkritik: Leise rieselt der Film

69e Festival de Cannes 2016
Das ist Familie.
Das ist Familie. © Xenix Films

Irgendwo in Bukarest, Rumänien: Drei Tage nach den Attacken auf Charlie Hebdo und 40 Tage nach dem Tod seines Vaters Emil fährt der 40-jährige Arzt Lary (Mimi Branescu) zu seiner Mutter Nusa (Dana Dogaru). Dort soll eine im engsten Familienkreis abgehaltene Trauerfeier stattfinden, und so finden sich innert kürzester Zeit mehr als ein Dutzend Verwandte in der Wohnung ein. Das Zusammenkommen um Emil zu gedenken, verläuft jedoch alles andere als still ab.

Das zum Glück auch.
Das zum Glück auch. © Xenix Films

Larys Cousin Sebi (Marin Grigore) hat im Internet ein paar Verschwörungstheorien über 9/11 gelesen und präsentiert diese nun der Familie. Zur gleichen Zeit ist Tante Ofelia (Ana Ciontea) völlig aufgelöst, da ihr Mann Tony (Sorin Medeleni) sie mit mehreren Frauen betrügt. Der Nachmittag zieht sich immer mehr in die Länge, während Nusa nervös auf einen Priester wartet und das Essen in der Küche auch nicht wirklich besser wird.

Im Gegensatz zu anderen "Familienfilmen" wie zum Beispiel Secrets and Lies fehlt es dem rumänischen Film Sieranevada an dem grossen dramatischen Punch. So schaut man mehr oder weniger emotionslos einer Familiensippe zu, die sich streiten, versöhnen und miteinander lachen. Der Zuschauer wird auch dank der 173 Minuten richtig Teil dieses Treffens. Ein netter "Berieselungsfilm", der aber schnell wieder vergessen ist.

173 Minuten dauert das neuste Werk des gefeierten rumänischen Regisseurs Cristi Puiu, dessen Werke fast immer "ännet" der 150 Minuten waren. In Sieranevada zeigt er, wie eine Familie für eine Trauerfeier zusammenkommt und dabei über politische System, Untreue und 9/11 spricht. So spielt der Film mit ein paar Ausnahmen fast ausschliesslich in der Wohnung der Mutter und folgt den Familienmitgliedern in die verschiedenen Räume. Puiu filmte laut eigenen Aussagen die Geschehnisse so, wie wenn der verstorbene Vater dem Treiben zuschauen würde. Ein interessantes Konzept, doch der Film kann sich nicht des Verdachts erwehren, dass er zu oft während den fast drei Stunden einfach nur Blabla zu bieten hat - wie dies bei einem normalen Familientreffen ja meistens auch der Fall ist.

Solche "Familienfilme" gab es in der (Arthouse-)Vergangenheit schon öfters. Thomas Vinterberg drehte Festen, Mike Leigh Secrets and Lies und in August: Osage County gingen sich Julia Roberts und Meryl Streep (verbal) an die Gurgel. Worin sich Sieranevada gegenüber diesen Filmen unterscheidet, ist, dass es hier viele kleine Dramen, aber keinen Spannungsbogen gibt. Wie diese über ein Dutzend Figuren genau miteinander verwandt sind, wird nicht erklärt, und eine grosse Enthüllung, die wie ein Damoklesschwert über der Veranstaltung hängt, gibt es auch nicht wirklich.

Der Film könnte ein Abbild des heutigen Rumäniens sein oder auch ein Film über das Thema Familie selbst - filmische Beweise dafür gibt es genug. Aber wieso genau muss der Streifen dann 173 Minuten lang sein? Wenn der Sohn Sebi zum xten Mal Theorien zu 9/11 präsentiert, winkt man ab und hört nicht mehr zu. Dies ist wohl auch etwas, was viele während Familienfeiern machen würden. Filme sollten den Zuschauer aber fesseln und unterhalten. Hier wird der Zuschauer einfach nur berieselt. Dies ist zwar angenehm, dauert aber deutlich zu lange und ist viel zu schnell wieder vergessen. Dann doch lieber mal wieder zu Mama und Papa gehen.

Wer sich übrigens noch fragt, was es mit dem Titel Sieranevada auf sich hat: Regisseur Puiu war es leid, dass seine Filme aufgrund von Vermarktungszwecken jeweils auch einen französischen und englischen Titel erhielten. Aus diesem Grund hat er einfach bei "Sierra Nevada" ein "r" und einen Leerschlag entfernt. Der Titel sei damit international verwendbar. Eine tiefere Bedeutung gibt es nicht.

Chris Schelb [crs]

Chris arbeitet seit 2008 für OutNow und leitet die Redaktion seit 2011. Seit er als Kind in einen Kessel voller Videokassetten gefallen ist, schaut er sich mit viel Begeisterung alles Mögliche an, wobei es ihm die Filmfestivals in Cannes und Toronto besonders angetan haben.

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Trailer Originalversion, mit deutschen Untertitel, 01:48