Wann habt ihr euch zuletzt eine App nicht installiert, weil ihr mit den Nutzungsbedingungen nicht einverstanden wart? Was sind schon die persönlichen Daten wert, wenn man dafür den neusten Trend direkt auf seinem Smartphone hat. "Nerve" ist wie Wahrheit oder Pflicht, nur ohne die Wahrheit. Eine Art Snapchat, bei der man Geld verdienen kann. Je mehr Follower, umso besser.
Die Regisseure Henry Joost und Ariel Schulman kennen sich aus bei der Inszenierung mit Hilfe von Kameras in der Filmwelt, beiden haben zusammen Paranormal Activity 3 und 4 gedreht. Ein so fliessendes und sinnvolles Zusammenspiel der Kameras sieht man allerdings nicht oft, zumal Nerve kein Found-Footage-Film ist. Wenn der Zuschauer Vee aus der gleichen Perspektive beobachtet wie ihre Follower, dann ist man mittendrin im Film und wird sich zugleich der Überwachung bewusst. Wer Nerve spielen will, muss seine Privatsphäre aufgeben, das eigene Leben im Tausch gegen ein paar hundert Dollar und den kurzen Ruhm. Ängste und Schwächen werden von der Community für neue Herausforderungen ausgenutzt.
Wenn Ian auf seinem Motorrad nachts durch die Häuserschluchten von Manhattan rast, leuchten überall Neonlichter. Dazu erklingt elektronische Musik von Künstlern wie MØ und Basenji, Nerve wirkt stets wie am Puls der Zeit. Dagegen wirken die Wu-Tang-Clan-Referenzen aufgesetzt und etwas anbiedernd, auch wenn Vee aus Staten Island kommt. Weitere Klischees findet man in ihrem Freundeskreis, natürlich ist das Mädchen im Rampenlicht eine fiese Zicke und der schüchterne Junge ein Computernerd. Während der gesamte Film im Neo-Noir-Look erstrahlt, ist das Spiel Nerve selbst im Retrolook gehalten.
Durch die Videospielstruktur erleben auch die Figuren eine stetige Steigerung. Während die ersten Aufgaben noch witzig und harmlos sind, wird es mit zunehmender Laufzeit immer gefährlicher. Der Handlungsverlauf wirkt dadurch natürlich und nachvollziehbar bis zum Punkt der Eskalation. Die Fragen, wer hinter dem Spiel steckt und wie weit Spieler und Zuschauer bereit sind zu gehen, stellen sich erst im Laufe des Films. Wenn die Dramatik dann ihren Höhepunkt erreicht, schwächelt Nerve leider etwas. Es ist nicht bedrohlich, nicht ernsthaft genug. Die Auswirkungen des Spiels werden nur angedeutet und leider nicht konsequent gezeigt. So bleibt der Film ein attraktiver Thriller, der aber weniger Tiefgang bietet, als es seine Thematik zulassen würde.