Free to Run (2016)

Free to Run (2016)

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  2. 90 Minuten

Filmkritik: Race against the machine

Gring ache u seckle.
Gring ache u seckle. © Outside the Box

Die USA in den Sechzigerjahren: Eine Handvoll drahtiger Sonderlinge läuft regelmässig durch den Central Park in New York - völlig freiwillig und ohne von jemandem verfolgt zu werden. Noch verrückter scheinen die Typen aus aller Welt, die sich jedes Jahr in Boston treffen, um sich am traditionsreichen Marathon miteinander zu messen. 1967 nimmt mit Katherine Switzer erstmals eine Frau heimlich am Rennen teil - ein Skandal, ist doch das "schwache Geschlecht" der vorherrschenden Expertenmeinung nach körperlich gar nicht in der Lage, 42 Kilometer zu überstehen.

I'm too sexy for my shirt.
I'm too sexy for my shirt. © Outside the Box

Auch in New York finden erste Marathons statt - zuerst in der Bronx, später im Central Park, wo 1970 der erste offizielle "New-York-City-Marathon" stattfindet. Motor hinter der Veranstaltung ist Fred Lebow. Er ist selbst zwar nur ein mittelmässiger Marathonläufer, aber ein umso besserer Promoter. Als er 1976 der Stadt vorschlägt, den Marathon auf den Strassen durch alle fünf Stadtbezirke zu führen, halten ihn viele für wahnsinnig...

Der Dokumentarfilm des Genfers Pierre Morath ist weniger eine kritische Auseinandersetzung mit dem Laufsport als vielmehr eine liebevolle Hommage, angereichert mit zahlreichen kleineren und grösseren Episödchen aus früheren Tagen. Dies ergibt eine bekömmliche Mischung aus Emotion und Information, die dank ihrer geschickten Dramaturgie während 100 Minuten auch diejenigen Zuschauer bei der Stange hält, für die die Läufer bis heute suspekte Spinner geblieben sind.

Es erstaunt nicht, dass Pierre Morath, Regisseur von Free to Run, selbst ein Läufer ist - ein ziemlich guter notabene. Denn aus seinem Film spricht die Begeisterung über den Sport, der heute längst eine Angelegenheit für die Massen ist, bei der sich die hartgesottenen Old-School-Läufer nicht mehr richtig wohl fühlen. So blickt Morath denn lieber zurück auf die Zeiten, bei denen die Läufer noch als exzentrische Masochisten galten, deren Kampf mit dem Leichtathletik-Verband um fairere Bedingungen auch ein Kampf um persönliche Freiheit war. Es ist sicher kein Zufall, dass sich dies ungefähr zeitgleich zur Freie-Liebe-Bewegung der Hippie-Zeit abspielte.

Dabei kommen interessante und aus heutiger Sicht teilweise auch unglaubliche Fakten zutage. Dass es Frauen strengstens verboten war, Distanzen über 1500 Meter zu laufen beispielsweise. Katherine Switzer, so etwas wie die Gallionsfigur der weiblichen Lauf-Aktivistinnen, ist denn auch eine der interessantesten von Moraths verschiedenen Interviewpartnern. Was sie zu sagen hat, löst heute Schmunzeln und manchmal Kopfschütteln aus.

In dieser Hinsicht hat Free to Run auch eine leicht politische Komponente. Doch in erster Linie ist es ein von freundlicher Nostalgie geprägter Blick in die Vergangenheit mit vielen überraschenden Episoden, wie beispielsweise der Entstehungsgeschichte einer kleinen Turnschuh-Firma namens Nike, deren Aufstieg unmittelbar mit demjenigen des Laufsports verknüpft ist.

Gerade hier wäre etwas mehr Hintergrund interessant gewesen. Dass der Laufsport heute von einem Nischen- zu einem Millionengeschäft geworden ist, wird von den damaligen Protagonisten mit einem Hauch Wehmut konstatiert. Das ist es aber auch schon mit (selbst-) kritischer Auseinandersetzung. Denn darum geht es Morath nicht. Dafür mag er den Sport viel zu sehr. Der englische Off-Sprecher mag zwischendurch in seinem leicht ins Pathetische abdriftenden Enthusiasmus ein wenig auf die Nerven gehen und an ein Recruiting-Video erinnern, das die Zuschauer zur nächsten Marathon-Teilnahme animieren soll. Dass die 42 Kilometer für Otto Normalläufer eine ganz schöne Tortur sein können, wird hier zumeist unterschlagen. Doch das merkt man dann ja noch früh genug.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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