Ganze sechs Jahre liegen zwischen Mike Mills' letztem Film Beginners und seinem neuen Werk. Während bei grossen Produktionen noch am Set die Geschichte umgeschrieben wird, nimmt sich der Regisseur und Drehbuchautor aus Kalifornien reichlich Zeit für seine Projekte. Zudem ist Jamies Geschichte von Mills' eigener Kindheit inspiriert. Für ihn ist 20th Century Women ein Liebesbrief an die Frauen in seinem Leben.
Vielleicht gerade weil Dorothea so ein enges Verhältnis zu ihrem einzigen Sohn hat, ist es so schwer für sie, dass sich Jamie sich jeden Tag weiter von ihr entfernt. Für gefährliche Mutproben und die laute Musik von Punkbands wie The Raincoats fehlt es der 55-Jährigen an Verständnis. Dorotheas Stimme ist die Erste, die aus dem Off erklingt. Wie alle Rückblenden im Film beginnt sie mit einer Geburt, der von Jamie. Zu den gefühlvollen Klängen der von Roger Neill komponierten Titelmelodie erzählt sie sehr ruhig vom Wunder des Lebens. Die Voice-Over-Montagen sind dabei mehr als eine blosse Zusammenfassung der bisherigen Lebensgeschichte, der historische und kulturelle Bezug kommt immer zur Geltung. Später beschränkt man sich nicht nur auf die Vergangenheit, in Vorausblenden werden zukünftige Ereignisse eingeordnet. Das Ende der wilden Siebziger steht stellvertretend für die Unberechenbarkeit der Zukunft. Niemand kann wissen, wie sein Leben verläuft und was ihn erwartet.
Die schauspielerische Leistung des Casts gehört zu den Stärken von 20th Century Women. Die anbetungswürdige Annette Benning strahlt eine unglaubliche Gelassenheit und Freundlichkeit aus. Schlagfertig und mit einer gewissen Altersweisheit reagiert sie stets nachvollziehbar auf fast jede Situation. Nur die Sorge um ihren Sohn lässt sie zur Kettenraucherin werden. Für die Rolle der Julie hat man mit Elle Fanning ebenfalls die perfekte Besetzung gefunden, keine andere junge Schauspielerin in Hollywood verkörpert so überzeugend Jugend und Unschuld. Indie-Darling Greta Gerwig darf über Kunst reden und viel auf der Leinwand tanzen. Ihre Figur versorgt Jamie mit einer Menge feministischer Literatur, die wohl nicht jeder 15-Jährige so begeistert lesen würde.
Die guten und humorvollen Dialoge sorgen dafür, dass man nie lange an Mills' perfekter kleiner Welt zweifelt. Die meisten Situationen sind zu liebenswert, zu herzerwärmend um an ihrer Authentizität zu zweifeln. Man möchte am liebsten selbst in diesem Film leben. In langen Einstellungen dürfen Mills' Figuren sich entfalten, Sätze unterbrechen, überlegen und einen neuen Gedanken fassen.
20th Century Women erzählt von starken Frauen, von Hilfsbereitschaft und von der Jugend. Er unterscheidet nicht in Richtig und Falsch, er gibt keine Anleitung, wie man ein guter Mann wird oder klärt, was das überhaupt bedeutet. Er zeigt Möglichkeiten auf und erzählt die Geschichte einer liebenswerten Familie. Der Film ist mehr Komödie als Drama, den Konflikten mangelt es an Ernsthaftigkeit. Aber die zweistündige Flucht in Mills' sonnendurchflutete Welt lohnt sich.