Son of Saul - Saul fia (2015)

Son of Saul - Saul fia (2015)

  1. 107 Minuten

Filmkritik: La vita non è bella

© Agora Films

"Sonderkommandos" werden sie genannt: Von den Nazis ausgewählte Gruppen jüdischer Männer, die für die Drecksarbeit im KZ Auschwitz zuständig sind: das Einweisen der Gefangenen in die Gaskammer, das anschliessende Verbrennen der Leichen und die Reinigung. Im Gegenzug kommen sie in den Genuss einiger Privilegien, bevor sie selbst vergast werden. In diesem grausamen Umfeld erblickt ein Mitglied dieses Sonderkommandos, der ungarische Jude Saul (Géza Röhrig) ein totes Kind, in dem er seinen Sohn zu erkennen glaubt.

Wie alle Leichen soll auch diese möglichst schnell beseitigt werden. Doch hier widersetzt sich Saul den Befehlen: Mit Hilfe eines Arztes, der selbst ein Häftling ist, nimmt Saul die Leiche zu sich. Sein Ziel ist es fortan, seinem Sohn ein standesgemässes jüdisches Begräbnis zu gewähren. Doch dafür benötigt er einen Rabbi. Also macht er sich im KZ auf die Suche nach einem solchen, was sich aber als nicht ganz einfache Angelegenheit erweist. Dass er sich damit selbst in Gefahr bringt, ist ihm egal. Denn er weiss: Im Grunde genommen ist er sowieso schon tot.

Angenehm zu schauen ist Saul Fia definitiv nicht. Aber von einem Film, der in einem Konzentrationslager spielt, kann das auch nicht erwartet werden. Durch die unruhige, immer auf den Protagonisten fokussierte Kameraführung erlebt der Zuschauer die Gräuel in Auschwitz beinahe am eigenen Leib. Das ist insbesondere zu Beginn beklemmend und verstörend. Leider verliert sich der Streifen gegen Ende selbst im Gewirr, so dass die eigentlich berührende Geschichte etwas auf der Strecke bleibt. Dennoch zweifellos ein beeindruckendes Regiedebüt.

Der Erstlingsfilm des ungarischen Regisseurs Lászlo Nemes wirft die Zuschauer unvorbereitet mitten in das Konzentrationslager - und dies noch bevor der Filmtitel eingeblendet wird. Nach einer Texttafel, die über die Funktion des Sonderkommandos informiert, heftet sich die Handkamera an den Protagonist Saul, der mit erstarrter Miene seiner unmenschlichen Arbeit in den Gaskammern nachgeht. Dieser Beginn ist wie ein Schlag in die Magengrube. Den Massenmord an den Juden sieht man zwar nur nebenbei, sozusagen aus dem Augenwinkel - der Fokus bleibt immer auf Sauls Gesicht gerichtet. Doch gerade durch diese Beiläufigkeit wird der Schrecken umso präsenter.

Man kann Saul Fia nun vorwerfen, dass er sich nicht wirklich eines neuen Themas annimmt. Das Nazi-Regime und seine furchtbaren Verbrechen sind nun wirklich schon in nahezu jeder Schattierung von der Filmwelt durchkonjugiert worden. Um diesem Not-another-Nazi-movie-Gefühl entgegenzuwirken, braucht es schon innovative Ansätze, damit ein Film über dieses Thema auch heute noch von Interesse ist. Durch die sich unablässig bewegende Kamera, die mit dem Protagonist mitten im Gewusel ist, ist ein solcher Ansatz erkennbar. Es entsteht ein "Mittendrin-Gefühl": Wie dem Protagonisten fehlt auch dem Zuschauer jegliche Übersicht, er ist vollkommen verloren im Elend des Konzentrationslagers. Da gibt's keine Hoffnung oder Ablenkung, und es turnt kein Roberto Begnini herum, der versucht, dem Unmenschlichen den Schrecken zu nehmen.

Leider - und das ist der Nachteil an dieser Weise der Inszenierung - wirkt der Film je länger, je mehr auch reichlich ermüdend. Denn durch diese fehlende Übersicht sinkt nach und nach die Aufmerksamkeit des Zuschauers, und es fällt schwer, der Handlung zu folgen. Ein Nebenplot um einen Ausbruchversuch bleibt in den Ansätzen stecken. So verliert sich der Film selbst ein wenig im Durcheinander, in dem sich der Protagonist befindet. Das ist insofern schade, als so die Message des Filmes - wenn man diese so nennen kann - etwas untergeht: nämlich, dass es selbst im unmenschlichsten Umfeld möglich ist, sich einen winzigen Rest von Würde zu bewahren. Wenigstens in dieser Hinsicht besteht eine winzig kleine Parallele zu La vita è bella.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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