Das Langfilmdebüt der noch jungen türkisch-französischen Regisseurin Deniz Gamze Ergüven überrascht in mehrerlei Hinsicht: Erstens besitzt das Werk eine sehr hohe atmosphärische Dichte und vermag von Beginn weg, den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Zweitens geht der Film sehr kritisch mit doch eher heiklen Themen wie Religion, Sitten und Bräuchen einer anderen Kultur um, was definitiv als Pluspunkt zu werten ist. Die Stellung der Frau in östlichen Kulturkreisen unterscheidet sich enorm zu derjenigen im Westen: Dass junge Mädchen dort oftmals keine Aussicht auf Bildung oder Ausbildung haben, ist bekannt, ebenso, dass sie zu lernen haben, wie ein Haushalt zu führen ist und auch in der heutigen Zeit oftmals noch zwangsverheiratet werden.
Der Film beginnt eher ruhig und gemächlich, längere Aufnahmen und Kamerafahrten zeigen eine ungebändigte Natur mit verlassenen Stränden und peitschenden Wogen, in welchen sich die Mädchen auf den Heimweg die Zeit vertreiben. Schöne, sanfte Gegenlichtaufnahmen suggerieren Unschuld und Harmonie, alles scheint gut in jenem Moment. Dass dies aber nicht so bleibt, wird spätestens in dem Moment erkennbar, als die Mädchen zu Hause ankommen und von einer äusserst aufgebrachten Grossmutter erwartet werden. Das Ganze gipfelt schlussendlich in einer lauten Streiterei und Prügeln vom strengen und sittenwahrenden Onkel.
Hier ändert sich dann auch die Einstellung, mit schnelleren Schnitten und düsterem Ambiente im Haus wird die Atmosphäre schnell verdichtet und Unbehagen hervorgerufen, die Situation droht jeden Moment zu eskalieren, was dem Zuschauer eindrücklich und emotional vorgeführt wird. Dass dies bereits den Wendepunkt darstellt und die Story nur noch in eine Richtung zu laufen vermag, wird den Zuschauern schnell und brutal bewusst, ohne dass dabei zu viel der Storyline vorweggenommen und der Spannungsbogen gesenkt wird. Im Gegenteil, die Atmosphäre verdichtet sich mit jedem Aufbäumen der jungen, freiheitliebenden und rebellierenden Mädchen mehr, denn der Zuschauer bemerkt schnell, dass jeder Ausbruch und jedes Entgegenwirken dem Onkel gegenüber drastische Folgen haben wird. Jedoch kommen auch die lustigen Elemente nie zu kurz und erzeugen punktuell immer wieder eine Situationskomik, welche dem Zuschauer ein breites Grinsen ins Gesicht treiben.
Besonders hervorzuheben sind die schauspielerischen Leistungen der jungen, unverbrauchten Akteurinnen, welche es ohne Probleme schaffen, den gesamten Film zu tragen und zu prägen. Stets wirken sie charismatisch und enorm authentisch. Ohne Zweifel: Solch eine Geschichte könnte sich ohne Weiteres so zutragen oder bereits zugetragen haben. Die Kameraführung unterstreicht stets das vermittelte Gefühl, die Aufnahmen sind wirklich atemberaubend. Ebenso passt der Soundtrack wie die Faust aufs Auge: Traditionell-türkisch lebensbejahend anmutende Folklore wechselt sich ab mit Fernweh-erweckender orchestrierter Filmmusik, welche die Gefühlslagen der Hauptcharaktere wie Wut, Trauer, Rebellion perfekt unterstreicht.