The Long Distance (2015)

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  2. 91 Minuten

Filmkritik: Ein Rennen ohne Sieger!?

11. Zurich Film Festival 2015
Eunice läuft hart am Limit
Eunice läuft hart am Limit © Studio / Producer

Eunice Chelagat Lelei und Felix Kiprotich haben einen Traum. Sie wollen Kenia verlassen, um in Europa als Marathonläufer Geld zu verdienen. Dabei kommen sie nicht um Volker Wagner herum, der als Scout in Nordafrika seinen Lebensunterhalt bestreitet. Da sich die beiden Läufer an einem Proberennen von der Konkurrenz absetzen können, entscheidet sich Wagner, die beiden unter Vertrag zu nehmen. Die Freude darüber hält sich allerdings in Grenzen. Denn die Angst vor dem Versagen ist gross. Die Geschichten der Läufer und Läuferinnen, die als Helden aus Europa zurückgekehrt sind, und die damit einhergehenden Erwartungshaltungen üben zusätzlichen Druck aus.

Auch Werner fürchtet um seine Zukunft. Die guten Jahre, in denen seine Läufer Rekord an Rekord reihten, sind längst vorbei. Damit er seine Familie ernähren kann, ist er auf den Erfolg von Eunice und Felix und seinen Anteil an der Siegesprämie angeweisen. Dafür droht er sogar die Gesundheit seiner «Schützlinge» aufs Spiel zu setzen.

The Long Distance ist eine gefühlvolle Dokumentation, die perfekt den gewaltigen Druck von Menschen vermittelt, die unter prekären Bedingungen leben müssen. Der Regisseur Daniel Andreas Sager ist sich dabei stets bewusst, dass es immer zwei Seiten einer Geschichte gibt und leuchtet diese mit viel Gespür aus. Der Film packt und regt zum Nachdenken an.

Eunice steht auf der zweiten Stufe des Podests und lächelt angestrengt den Fotografen zu. Ihren beiden Mitstreiterinnen scheint dies ebenso schwer zu fallen. Denn der eigentliche Gewinner wird nicht auf diesem Foto zu sehen sein. Werner Volker, der von der tollen Leistung seiner Läuferin noch gar nichts weiss, sitzt im Auto und pusht Felix nach vorne. Ihn hier als Gewinner hinzustellen wäre ebenso vermessen. Und so bleibt am Schluss die Frage, wer denn von dieser modernen Form des Sklavenhandels (natürlich stets im Bereich der Legalität) profitiert. Der Regisseur gibt darauf keine abschliessende Frage und es bleibt den Zuschauern überlassen, einen Sinn hinter dem ganzen Zirkus zu finden.

In seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm zeigt Daniel Andreas Sager, was hinter den Rekordläufen der europäischen Marathons steckt. Die tollen Bilder und der manchmal etwas überdramatische Soundtrack lassen die Zuschauer mit den Protagonisten mitfiebern, obwohl sich diese der Hoffnungslosigkeit stets gewahr sind. Volker und vor allem seine Ehefrau beweisen, dass es mit der Empathie oft nicht weit her ist, wenn die eigene Existenz bedroht ist. Doch auch die beiden, wie sehr gut klar wird, versuchen nur irgendwie über die Runden zu kommen.

Glücklicherweise enthält der Regisseur seinem Publikum die seltenen, auflockernden Momente nicht vor, in denen die Athleten zur Ruhe kommen. Denn dann, wenn sich Eunice und Felix über die Eier verzehrenden Europäer lustig machen, kann auch der Zuschauer kurz zur Ruhe kommen. Natürlich immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass die Strecke noch sehr weit ist.

/ asc