Every Thing Will Be Fine (2015)

Every Thing Will Be Fine (2015)

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  2. 118 Minuten

Filmkritik: Tiefenwirkung

40th Toronto International Film Festival
Casting-Session für "Nymphomaniac", Teil 3?
Casting-Session für "Nymphomaniac", Teil 3? © Donata Wenders © Neue Road Movies

Eines schneereichen Tages im kanadischen Winter fahren dem aufstrebenden Autor Tomas (James Franco) unvermittelt zwei Jungen im Schlitten vors Auto. Der jüngere der beiden stirbt, der ältere überlebt. Mit diesem tragischen Unfall gerät Tomas' Leben völlig aus der Bahn. Die ohnehin bereits kriselnde Beziehung mit seiner Freundin Sara (Rachel McAdams) geht in die Brüche, er selbst versucht, sich das Leben zu nehmen.

Zwei Jahre später: Tomas hat seinen neuen Roman beenden können und einen Verkaufserfolg gelandet, sein Verleger (Peter Stormare) ist zufrieden. Doch seine Krise ist noch immer nicht ganz überwunden. So fährt er zum Ort zurück, an dem das Schicksal seinen Lauf nahm. Dort trifft er wieder auf Kate (Charlotte Gainsbourg), die Mutter der beiden Jungen. Sie hat eine schwere Zeit durchgemacht seit dem Tod ihres Sohnes. Und auch ihr verbleibender Sohn Christopher hat vom Unglück seelische Narben davongetragen...

Das Gefühl für magische Filmbilder hat Wim Wenders schon immer gehabt. Mit Every Thing Will Be Fine beweist er dies nun schon zum zweiten Mal in 3D. Die Technologie mag etwas weniger "zwingend" eingesetzt sein, als sie das noch beim vielgerühmten Vorgänger Pina war, und die Geschichte ist ein alter Hut. Dennoch ist der Film in seiner unaufdringlichen und dennoch intensiven Machart auf eine wundersame Weise stimmungsvoll.

Wim Wenders ist so etwas wie ein Pionier, was den Gebrauch der 3D-Technologie im Arthouse-Bereich betrifft. Mit Pina betrat er 2011 Neuland für Autorenfilmer und wurde dafür frenetisch gefeiert. Kollege Jean-Luc Godard machte sich drei Jahre später einen Spass daraus, die Technologie bis zur Grenze des Ertragbaren zu vergewaltigen. Nun ist der Ball wieder bei Wenders, der mit Every Thing Will Be Fine seinen ersten Fiktionsfilm in 3D präsentiert.

Die optische Tiefe ist also mal gegeben, wie sieht es mit der inhaltlichen aus? Auf den ersten Blick nicht so berauschend. Dies beginnt mit der Drehbuchentscheidung, einen Autoren als Protagonisten auftreten zu lassen. Gähn, gähn, doppelgähn, mag man da facepalmen, der Autor als verstecktes Alter Ego, waaahnsinnig originell. Klischeeverdächtig ist zudem auch die Geschichte vom Mann, dem Unfall und den Schuldgefühlen. Die frischeste Idee auf dem Markt ist dies nun wahrlich nicht. Zumindest nicht auf dem Papier.

Doch das Gute am Kino ist ja eben, dass es nicht auf Papier stattfindet. Und so gelingt es Wenders erstaunlicherweise, die eher abgestandenen Charaktere glaubhaft zum Leben zu erwecken. Dazu trägt die exzellente Inszenierung bei. Der schöne Score von Alexandre Desplat harmoniert prächtig mit den exzellenten Bildern von Benoît Debie (der unter anderem schon für Gaspar Noé Enter the Void gefilmt hat). Das 3D drängt sich hierbei nicht in den Vordergrund, man vergisst bald, dass man überhaupt die Brille aufhat. Doch gerade dadurch, dass die Zuschauer nicht die ganze Zeit durch effekthascherische Zaubertricks abgelenkt werden, entsteht ein schöner, ruhiger Bildfluss.

Im Fluss sind auch die Schauspieler. Es ist beachtlich, was Wenders an Starpower zusammengebracht hat - ein Zeichen für das internationale Renommee, das sich der Deutsche in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geschaffen hat. So kann er es sich leisten, eine Rachel McAdams mit einer verhältnismässig kleinen Nebenrolle abzuspeisen. Und Peter Stormares Auftritt dauert sogar nur wenige Minuten.

Der Hauptdarsteller James Franco bestreitet den grossen Teil des Filmes mit unbeweglicher Miene - was aber dem Charakter zuzuschreiben ist, den er verkörpert. Charlotte Gainsbourg schliesslich spielt die trauernde Mutter angenehm zurückhaltend. Emotionsausbrüche sind ihre Sache nicht - und auch nicht die des Filmes. Das hat er auch gar nicht nötig, denn die tiefen Emotionen erzeugt er ganz von alleine. Dazu braucht's kein 3D.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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