Crumbs (2015/II)

Crumbs (2015/II)

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  3. 68 Minuten

Filmkritik: Oh boy, take this plastic-sword in this rusty world

Mystische Stimmung am Himmelszelt
Mystische Stimmung am Himmelszelt © Studio / Produzent

Die Apokalypse hat ihre Spuren hinterlassen auf unserem Planeten: Nur noch wenige Menschen (über)leben in der kargen Ödlandschaft Äthiopiens. Die Häuser sind heruntergekommen, der Stahl rostet, Salzwüsten weiten sich auf trockenen Ebenen aus und aus Ritzen im Boden dringen Dampf und Dunst (war da der Geruch von Schwefel zu vernehmen?). In dieser Welt begegnen wir Gagano (Daniel Tadesse), einem kleinwüchsigen Buckligen, dessen Partnerin (Selam Tesfayie) - welche er liebevoll Birdy nennt - und einigen absurden Gestalten (von welchen, so viel sei schon einmal verraten, eine der Weihnachtsmann ist).

Gagano, wohin des Weges?
Gagano, wohin des Weges? © Studio / Produzent

Wohnhaft in einer alten, verlassenen Bowlingbahn, tragen Gagano und seine Partnerin die letzten Erinnerungsstücke vergangener Generationen zusammen: Spielzeuge jeglicher Art, Michael-Jackson-Alben und eine Fotografie Michael Jordans als Mittelpunkt eines Altars. Da sich plötzlich Bewegung auf dem seit Jahren still am Himmel stehenden Raumschiff bemerkbar macht, beginnt für Gagano ein surrealer Trip durch Alpträume. Er stellt sich seinen grössten Ängsten und der Vergangenheit der Zivilisation, in der Hoffnung, seinem lang ersehnten Traum ein Stück näher zu kommen.

Ein Zeigefinger-Ufo am Horizont, ein Spielwarenhändler, welcher jeden seiner Kunden übers Ohr hauen will und ein wirrer Trip eines Kleinwüchsigen, das Ganze in einer postapokalyptischen Umgebung, wo noch für wahre Werte wie Liebe und Fürsorge gekämpft wird: Oh, Cineasten-Herz, was willst du mehr? Bleibt nur die Frage: Muss man denn immer alles verstehen, oder will man einfach?

Crumbs beginnt langsam und still, die Kamera schweift über öde, trockene Landschaften, Schwefelmeere, gelegentlich sind alte, verfallene Häuser zu sehen. Dann plötzlich der Hauptcharakter Gagano, ein maskierter Nazi (gut zu erkennen an der typischen Armbinde) und schon entsteht eine irreal absurde Szene, welcher man auch später nie einen eindeutigen Sinn entlocken kann. Schon diese erste Szene ist sinnbildlich für den Rest des Filmes: Entweder man sieht im gesamten Werk einen tieferen, spirituellen Sinn, welcher alles zusammenhält und dessen bizarre Szenen gerechtfertigt sind, oder man sitzt mit einem einzigen grossen Fragezeichen im Gesicht da und denkt sich: WTF? Letzteres wird wohl anfänglich bei den meisten Betrachtern der Fall sein, hinterlässt Crumbs doch eher nachhaltig eine Botschaft. Am ehesten als Vergleich dürfte wohl Cherry Pie hingezogen werden.

So sind die Dialoge sehr spärlich gehalten und zumeist nicht sehr informativ, Erklärungen fehlen teilweise gänzlich, dem Betrachter wird einiges an Raum für Interpretation gelassen. Die Charaktere werden kaum eingeführt, ihre Gedankengänge und Handlungsweisen bleiben unkommentiert. Ebenso oft wird eine dieser irrwitzigen Szenen eingestreut, was die Mystik durchbricht, welche zuvor durch die dichte Atmosphäre entstanden ist. Untermalt werden die Szenerien von sphärischen Geräuschen und Klängen, was an entfernte Galaxien erinnern mag; zügig wechselt die Musik dann aber zu klassischeren Kompositionen und holt einen in die Realität zurück.

Lange, statische Kameraaufnahmen verlocken dazu, sich die gestochen scharfen Bilder der wilden, ungebändigten, teils trostlos-kargen Natur genau anzusehen und tragen ebenso zur sphärischen Mystik bei. Konträr dazu stehen Szenen, in welchen mit schnellen Schnitten Hektik und die Ängste des Protagonisten hervorgehoben werden, befindet sich dieser doch auf einem Trip durch vergangene Epochen menschlichen Seins, im Kampf gegen seine grössten Alpträume. Optisch macht das Werk alles richtig, die Naturaufnahmen sind gewaltig und ungestüm, mit viel Liebe zum Detail werden Nahaufnahmen und Kamerafahrten benutzt, um aufkommende Gefühle wie Unbehagen oder Übersinnlichkeit zu verstärken.

Den Zuschauern bleibt selbst überlassen, ob sie dem Sci-Fi-Thriller des noch wenig bekannten Regisseurs Miguel Llansò inhaltliche Relevanz zugestehen und einen Sinn darin finden können/wollen, oder ihn einfach als abwegige Unterhaltung annehmen, in welcher Spielzeug- und Popstarverehrung eine tragendere Rolle spielen als erwartet. Spätestens wenn vorab erwähnte Spielsachen durch die Sphären schwirren und im Off haargenau über Produkthersteller, Herstellungsjahr und Präferenz informiert wird, verliert der Film zwischenzeitlich seine Interpretationsbasis und führt zu regelrechten Lachanfällen.

Ein Minuspunkt ist die Lauflänge, mit 68' Laufzeit ist Crumbs etwas zu kurz geraten, bleiben am Ende doch mehr Fragen offen, als geklärt werden. Der Schluss kommt so ein wenig gesucht daher und rundet nicht ganz wie erwünscht ab.

Yannick Bracher [yab]

Yannick ist Freelancer bei OutNow seit Sommer 2015. Er mag (Indie-)Dramen mit Sozialkritik und packende Thriller. Seine Leidenschaft sind Filmfestivals und die grosse Leinwand. Er hantiert phasenweise noch mit einem Super-8-Projektor und lernt die alten Filmklassiker kennen und schätzen.

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