Das Augenfälligste am neuen Film von Xavier Dolan ist sicherlich das Bildformat: Das 25-jährige Regie-Wunderkind hat sich für das sehr ungewöhnliche Seitenverhältnis 1:1 entschieden. Das heisst also: Das Bild ist Kino-untypisch quadratisch. Nur für zwei Szenen «öffnet» es Dolan und wechselt ins Querformat; natürlich sind dies die zwei glücklichsten, unbeschwertesten Szenen im Film, die sozusagen den Ausbruch aus der Enge illustrieren. Eine nette Spielerei.
Ansonsten drängt sich natürlich der Vergleich mit Dolans Debutfilm J'ai tué ma mère auf, die Parallelen sind einfach zu offensichtlich. Nicht nur geht es hier wie dort um das schwierige Verhältnis eines Teenagerjungen zu seiner Mutter. Diese wird mit Anne Dorval auch von derselben Schauspielerin verkörpert. Und auch Suzanne Clément ist in beiden Filmen die Person «von aussen», die die Beziehung zwischen Mutter und Sohn beeinflusst. Nur die Rolle des Teenagers, damals von Dolan selbst gespielt, wird nun von einem Neuling verkörpert. Und wie: Antoine Olivier Pilon lebt seine Rolle förmlich, er geht geradezu in ihr auf. Dies kann zwischendurch ziemlich auf die Nerven gehen, aber das liegt angesichts seiner Krankheit in der Natur der Sache.
Seine beiden Kolleginnen stehen ihm in nichts nach. Anne Dorval kann mit ihren sarkastischen Sprüchen und den lustigen frankokanadischen Flüchen nicht nur für die meisten Lacher sorgen. Auch in den emotionalen Szenen vermag sie ihre latente Anspannung und Überforderung auszudrücken, die sie als Mutter eines ADHS-Jungen empfindet. Etwas zurückhalten muss sich hingegen Suzanne Clément, die in Dolans vorletztem Film Laurence Anyways noch brillieren konnte. Dennoch zeigt sie auch in dieser ruhigeren Rolle eine feine Leistung. Allen Schauspielern kommt das Bildformat insofern entgegen, als so viel stärker auf ihre Mimik fokussiert wird.
Mit Mommy wurde Xavier Dolan erstmals in den Haupt-Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes eingeladen. Ob Zufall oder nicht: Tatsächlich wirkt sein neuster Film reifer als noch seine manchmal überdrehten Vorgänger. Alle Regie-Mätzchen hat er sich allerdings nicht austreiben lassen: die immer wieder eingestreuten, eher überflüssigen Slowmotion-Szenen beispielsweise, oder auch seine Vorliebe, Szenen mit Popsongs zu unterlegen (unter anderem von Dido, Céline Dion oder Oasis), die dann in voller Länge ausgespielt werden.
Der grösste Schwachpunkt des Films ist allerdings die Geschichte: Sie ist eigentlich nur Mittel zum Zweck und für die stolze Filmlänge von über zwei Stunden etwas gar dürftig. Es fehlt zudem an «Magic Moments», mit denen sein bisher bester Film Laurence Anyways noch so zahlreich auftrumpfen konnte. An diesen kommt Dolans Neuster daher nicht ran, dennoch ist er berührendes Schauspielerkino.