The Look of Silence (2014)

The Look of Silence (2014)

  1. 98 Minuten

Filmkritik: Meet the Murderer

© Praesens Film

In Indonesien kam es 1965 bis 1966 zu grausamen Massakern, die den Tod von über einer Million Menschen forderten. Rücksichtslose Gangster und Kriminelle töteten im Namen der Regierung als Paramilitärs vermeintliche Kommunisten und werden heute noch wie Helden gefeiert. Die Blutspuren der Opfer sind noch nicht getrocknet und die Angehörigen leben noch immer in Angst und Schrecken. Regisseur Joshua Oppenheimer besuchte für The Look of Silence ein Ehepaar, das im Massaker seinen ältesten Sohn verloren hat und sich von den schrecklichen Taten der Paramilitärs nie mehr richtig erholen konnte.

© Praesens Film

Der jüngere Sohn des Paares sucht mit Hilfe Oppenheimers die Menschen auf, die für den Tod seines Bruders verantwortlich sind; Menschen, die an der gleichen Strasse wohnen, dieselben Einkaufsläden besuchen und die vor allem nie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wurden und bis heute stolz von ihnen berichten. Durch seinen Beruf als Optiker kommt der junge Mann ins Gespräch mit den Mördern und erfährt bis ins Detail, was in den Sechzigern mit seinem Bruder geschehen ist.

The Look of Silence ist fast genauso intensiv, wenn auch um einiges kürzer und linearer als sein Vorgänger The Act of Killing. Die Geschichte der Familie geht an die Nieren. Auch wenn mit gewissen Aufnahmen auch etwas der Rahmen gesprengt wurde, sind sie doch essentiell für die Doku. Der Blick in die Vergangenheit, der durch die Gespräche des Bruders mit den Tätern ans Tageslicht kommt, ist dagegen der pure Horror und für rational denkende Menschen kaum vorstellbar. Ein unangenehmer Einblick und mit Sicherheit kein Sonntagnachmittagsspass; Joshua Oppenheimer beweist erneut, dass er mit dem Medium Film mehr als nur Unterhaltung bieten will und kann.

Nach seiner immens wichtigen Dokumentation The Act of Killing, die in Indonesien Debatten auslöste, bei den Zuschauern auf der ganzen Welt gefeiert und für einen Oscar nominiert wurde, kehrt der in Dänemark lebende Texaner Joshua Oppenheimer nun ein zweites Mal nach Indonesien zurück, um das abscheuliche Verbrechen dieses Landes erneut aufzugreifen. Anstatt sich wie in seinem vorgängigen Werk auf die Täter zu fokussieren, konzentriert er sich in The Look of Silence auf eine Familie, die ihren Sohn während des Massakers verloren hat. Das alte Ehepaar ist von den Schreckenstaten böse gezeichnet. Der Mann ist auf die Hilfe seiner Frau angewiesen, redet nur noch wirr vor sich hin und hat nach dem Tod seines Sohnes aufgehört zu leben. Seine Frau ist eine Kämpfernatur, die dank ihres zweiten Sohnes überhaupt noch über die Energie verfügt, jeden Morgen aufzustehen. Ein schreckliches, ja trauriges Bild, das uns Oppenheimer hier kontraststark und mit symbolischer Kraft aufzeigt. Gewisse Szenen wirken zwar etwas zu metaphorisch, und die intime Inszenierung fühlt sich zwischendurch etwas gar abstrakt an. Doch die Narben des Massakers könnten nicht deutlicher sein.

Der zweite, inhaltlich interessantere Teil von Look of Silence handelt vom jüngeren Bruder des Verstorbenen. Dieser kennt die Geschichten des Genozids und von dem Mord an seinem Bruder nur vom Hörensagen. Dennoch ist er gewillt, die Hintergründe darüber herauszufinden, und zwar von den Peinigern höchstpersönlich. Durch seinen Beruf als Optiker und den guten Verbindungen des Regisseurs schafft er es ohne Schwierigkeiten, an die Killer zu gelangen und mit ihnen zu kommunizieren. Diese Interviews sind schlichtweg unglaublich. Einerseits ist die unvorstellbare Ruhe und das Verständnis, das der junge Mann aufbringt, um mit den Familien der Mörder und ihnen selbst in Kontakt treten zu können, für den Zuschauer unbegreiflich, und dennoch treibt es Tränen in die Augen. Die Aussagen, Ausreden und Erklärungsversuche der Täter hingegen führen den Zuschauer direkt in die Abgründe der menschlichen Natur und lassen das Blut in den Adern gefrieren.

Yannick Suter [yan]

Yannick arbeitet seit 2010 als Freelancer für OutNow. Sci-Fi-, Horror- und Mindfuck-Filme sind seine Favorites. Wenig anfangen kann er mit Kostümfilmen und allzu prätentiösen Arthouse-Produktionen. Wer aber etwas über äusserst verstörende Filme erfahren möchte, ist bei ihm an der richtigen Adresse.

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Trailer Originalversion mit deutschen Untertitel, 1:47 © Drafthouse Films