Aimer, boire et chanter (2014)

Aimer, boire et chanter (2014)

  1. 108 Minuten

Filmkritik: Vom Maulwurf und menschlichen Träumen

Sie liest ihm die Leviten.
Sie liest ihm die Leviten. © filmcoopi

Colin (Hippolyte Girardot) und Kathryn (Sabine Azema) gehören einer Amateurgruppe an, die sich gerade mitten in den Proben zu einem neuen Theaterstück befindet. Durch einen Freund erhält Colin eine schreckliche Nachricht. Ihr Freund George leidet an einer schweren Krankheit und wird nur noch wenige Monate zu leben haben. Nach kurzer Rücksprache mit Tamara (Caroline Silhol) und Simeon (Andre Dussollier), die auch der Gruppe angehören, wird beschlossen, George mit in das Stück aufzunehmen. Auch Monica (Sandrine Kiberlain), Georges Frau, die inzwischen bei ihrem neuen Freund Jack (Michel Vuillermoz) lebt, wird eingeweiht.

"Momoll, tipptopp rasiert!"
"Momoll, tipptopp rasiert!" © filmcoopi

Im Verlauf der Proben wird deutlich, wie sehr die heile Ehewelt der Damen durch Georges Anwesenheit durcheinandergebracht wird. Kathryn hatte in ihrer Jugend eine Beziehung so George, Tamara möchte mit George ihren Ehemann verletzen, der eine Affäre hat, und Monica fühlt sich schuldig, weil sie ihren kranken Mann verlassen hat. Auf einer Geburtstagsparty von Tilly (Alba Gaia Bellugi), der Tochter von Tamara und Simeon, beginnt die Situation langsam zu eskalieren.

Der französische Altmeister Alain Resnais wählt zum dritten Mal nach Smoking/No Smoking und Coeurs ein Theaterstück des britischen Autors Alan Ayckbourn als Vorlage für einen Film. Aimer, Boire et Chanter ist wie ein Theaterstück angelegt, so wie seine bisherigen Werke auch. Es gibt fünf Akte, und der gesamte Film spielt auf einer Bühne, auch wenn man diese nicht als solche sieht. Einzige Merkmale dafür sind die Kulissen: ein Tisch, Stühle oder eine Pflanze, aber vor allem der Hintergrund, der aus Schieberollos besteht und eine Art Wald suggerieren soll.

Der Film kommt mit sechs Personen aus, zum Ende wird eine siebte kurz auftauchen. Vornehmlich geht es um zwei Ehepaare, die zu einer Stückprobe zusammenkommen, doch eigentlich geht es um viel mehr. Während man eher wenig über den Hintergrund der einzelnen Figuren erfährt, was sie arbeiten, wie sie leben etc., erfährt man wesentlich mehr über den imaginären George, der nie die Bühne betreten wird. Mit einer gewissen Distanz zu seinen Figuren arbeitet Regisseur Resnais nach und nach die menschlichen Sehnsüchte und Triebe heraus. Durch George kommt plötzlich zum Vorschein, wie es hinter der äusserlich heilen Fassade der Paare tatsächlich aussieht. Hier geht der Ehemann fremd, dort scheint die Liebe längst erloschen, und jede der Frauen sehnt sich im Stillen auf ihre Art nach George. Die jeweiligen Spielorte sind dabei auf drei Vorgärten unterschiedlicher Anwesen beschränkt, lediglich für drei kurze Szenen wechselt man in die Wohnzimmer der Häuser. Jeder Ortswechsel wird mit einem gezeichneten Szenenbild, einer Aussenaufnahme des Hauses, angekündigt.

Es braucht einige Zeit, um sich mit der ungewöhnlichen Filmgestaltung zu arrangieren, doch wer Resnais' Filme kennt, dem wird das schnell gelingen. Nur ob der Handlung ist man zunächst unsicher, ob man Proben zu einem Stück beiwohnt, sind die Dialoge manchmal doch arg abgelesen aufgesagt. Im Laufe der Zeit gewöhnt man sich jedoch ein, weiss, welche Figur wohin gehört und ist von der Umsetzung angetan. Allerdings wünscht man sich doch bald eine etwas lebhaftere Handlung. Auch wenn in kleinen Stücken die Abgründe ans Licht kommen, die jede Figur in sich trägt, ist das für den ganzen Film einfach zu dünn. Für Erheiterung sorgt jedoch kurzzeitig ein Maulwurf, der zwar nur einen kurzen, dafür aber unterhaltsamen Auftritt erleben darf.

So bleibt Aimer, Boire et Chanter eine weitere interessante Idee, ein Theaterstück auf die Leinwand zu bringen. Aufgrund der insgesamt eher ereignisarmen Geschichte verliert die Umsetzung jedoch an Potenzial.

Julia Stache [jst]

Julia ist seit 2007 Freelancerin bei OutNow und kommt aus Berlin. Seit 2002 ist sie regelmässig bei der Berlinale dabei. In Jane-Austen-Filmen kann sie träumen und mitleiden. Sehr angetan haben es ihr Thriller, Christian Bale und James McAvoy.

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Trailer Französisch, mit deutschen Untertitel, 01:42