Jackson und seine kleine Schwester Salome, Kenia: 15 Kilometer. Zahira, Marokko: 22 Kilometer. Carlos und Micaela, Argentinien: 18 Kilometer. Samuel, Indien: 4 Kilometer; im Rollstuhl, geschoben von seinen beiden Brüdern.
Die Schulwege all dieser Kinder weisen nicht nur riesige Distanzen auf, sondern auch grosse Tücken. Jeden Tag müssen Jackson und Salome mit einem Zusammentreffen mit Elefanten rechnen. Andere Kinder haben unwirtliches Gelände zu meistern, Flüsse, im Falle von Samuel auch mal einen Reifenschaden. Doch wie die Eltern wissen auch die Kinder: Die Schule ist die grosse Chance, sich Träume zu erfüllen, sich ein besseres Leben zu schaffen.
Der Verfasser dieser Kritik erinnert sich zurück: Zur Sekundarschule im Nachbardorf fuhr ausserhalb der Wintermonate nach dem Mittag kein Bus. Kinder hatten die drei Kilometer mit dem Fahrrad zu bewältigen. Und der Anstieg zu Anfang dieser unmenschlich langen Strecke! Schrecklich! Unzumutbar!
Diese "Strapaze" wird mit dem Doku-Film Sur le chemin de l'école geradezu der Lächerlichkeit preisgegeben. Hier legen Kinder in marodem Schuhwerk Strecken zurück, die man selbst an einem engagierten Wandertag nicht bewältigt. Manche von ihnen tun dies erst noch jeden Tag, teilweise unter Lebensgefahr. So simpel wie die Prämisse "Kinder auf dem Schulweg" auf den ersten Blick erscheinen mag, ist sie also nicht.
Bevor es aber auf den Weg geht, werden zu Anfang des Films die vier verschiedenen Familien eingeführt. Alle leben sie in sehr einfachen Verhältnissen, offenbaren sich den Zuschauern aber als starke, intakte Familienverbände. Mit dem Loslaufen der Kinder entfaltet sich dann eine packende Abenteuer-Doku, die an manchen Stellen fast schon geskripted anmutet. Mitunter wird nämlich so flüssig zwischen mehreren Kameraeinstellungen hin und her geschnitten, dass man fast glauben könnte, die Szene wurde mehrmals gedreht. Auch scheint die Kamera selbst von Menschen, welche die Kinder auf dem Weg antreffen, nicht wahrgenommen zu werden. Die klassische Filmmusik steuert ihren eigenen Beitrag dazu bei, diverse Szenen in ihrem Ausdruck so zu überhöhen, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen.
Der französische Regisseur Pascal Plisson befand sich auf einem Scouting für einen Tierfilm, als er im Norden Kenias auf drei Kinder traf, die sich auf dem langen Weg zur Schule befanden. Beeindruckt von dieser Leistung, recherchierte er mit der Hilfe der Unesco 60 Geschichten und wählte vier aus. Das kurzweilige Resultat fordert zur Rückbesinnung auf, dass Schulbildung allgemein als Privileg zu verstehen ist. Und er führt eindrücklich vor Augen, wie erwachsen und selbstständig, gar reif Kinder sein können.