Alpsegen (2012)

Alpsegen (2012)

  1. 85 Minuten

Filmkritik: Hei Chäs u hei Anke, das git üs guets Bluet ...

Die Milch macht's.
Die Milch macht's. © Studio / Producer

Franz Ambauen aus Nidwalden, Samuel Indergand aus dem Kanton Uri, Mina Inauen aus dem Toggenburg, Josef Brun aus dem Entlebuch und der Bündner Placi Giusep Pelican - sie alle leben über den Sommer auf der Alp. Und so unterschiedlich die fünf im Hinblick auf Alter, Glauben und Lebenseinstellung auch sein mögen, so haben sie untereinander doch zumindest eine Gemeinsamkeit: Sie alle pflegen auch heute noch den jahrhundertealten Brauch des Alpsegens. Mit dieser Mischung aus Gebet und Gesang, auch Betruf genannt, erbeten die Bergbauern in katholischen Berggebieten beim Herrgott Schutz für sich und ihren Hof vor Unwettern oder anderen Katastrophen.

Die fünf Bergler erzählen von ihrem Leben auf der Alp, ihren Vorstellungen vom Leben und der Liebe und von ihrem Bezug zur Religion. Der Alpsegen hilft ihnen, die Beschwerlichkeiten und Strapazen des manchmal harten Alltags zu meistern und gleichzeitig einen inneren Frieden zu finden.

Viele Städter träumen davon, ein paar Monate auf der Alp zu verbringen, fernab von allen Alltagssorgen, eins mit sich und der Natur. Getan haben's freilich die wenigsten. Denn eins sein mit der Natur, so verrät dies Samuel Inderkum mit einem Grinsen, kann auch heissen: eins sein mit den nassen Füssen, die man schon morgens um fünf hat, weil die trockenen Socken ausgegangen sind. Und das ist dann nicht mehr nur wunderbar.

Eines gewissen sanften Spotts über verklärende Vorstellungen vom Alpenleben können sich die Protagonisten in Alpsegen nicht erwehren. Bruno Molls Film ist hingegen alles andere als verklärend. Der erfahrene Dokumentarfilmer verzichtet grösstenteils auf malerische Sonnenuntergänge hinter markanten Bergsilhouetten oder auf romantische Nebelschwaden über luftigen Blumenwiesen. Sein Blick auf die Alpen ist durch und durch nüchtern, fast möchte man sagen: asketisch - was ihn denn auch von anderen ähnlich gelagerten Filmen wie beispielsweise Schönheiten des Alpsteins unterscheidet.

Im Fokus stehen Interviews mit den Berglern, die ihre Ansichten über Gott und die Welt darlegen. Heimlicher Star ist dabei Franz Ambauen. Der knapp 80-Jährige erinnert mit seinem grauen Bart und der sympathischen Verschmitztheit ein wenig an Peter «Cool Man» Steiner. Er dürfte auch noch am ehesten ins Bild des urchigen Alpsenns passen, das man als Unterländer irgendwo in der Klischeeschublade gespeichert hat. Der junge Saumel Inderkum ist da schon etwas schwieriger einzuordnen, passt er doch mit Augenbrauenpiercing und tendenziell atheistischen Ansichten so gar nicht in dieses Bild. Gerade dieser Gegensatz zur gottesfürchtigen Tradition des Alpsegens wird auf spannende Weise aufgegriffen.

Die einzige Frau im Bunde, Mina Inauen, vertritt derweil etwas gar esoterische Ansichten, während bei Placi Giusep Pelican vor allem der schöne Klang der rätoromanischen Sprache heraussticht. Die beiden wie auch der Fünfte im Bunde, Josef Brun, kommen so ein wenig zu kurz und verblassen hinter den zwei Charakterköpfen Ambauen und Inderkum.

Neben den Interviews beschränkt sich Bruno Moll darauf, zu beobachten, wie die Bergler ihrem strengen, aber unspektakulären Tagwerk nachgehen und den Alpsegen rezitieren. Ein dezenter Soundtrack nicht etwa aus lüpgifen Schwyzerörgeli-, sondern aus ruhigen Synthesizer-Klängen verleiht dem Film einen leicht meditativen Anstrich. Leider - und das ist der grösste Kritikpunkt am Film - bleibt der Informationswert für den Zuschauer eher gering. Zwar erhält man einen Einblick in fünf Leben, die so anders sind als das eigene; und doch bleibt eine gewisse Distanz zu den Charakteren - was einerseits an der nüchternen Inszenierung, andereseits an einer gewissen Oberflächlichkeit in den Interviews liegen mag. Wer erfahren will, wie hart das Berglerleben wirklich ist, muss so wohl oder übel selbst für einen Sommer auf die Alp - und kommt so auch um die nassen Füsse nicht herum.

Simon Eberhard [ebe]

Aufgewachsen mit Indy, Bond und Bud Spencer, hatte Simon seine cineastische Erleuchtung als Teenager mit «Spiel mir das Lied vom Tod». Heute tingelt er durch Festivals und mag Krawallfilme genauso wie Artsy-Farts. Nur wenn jemand einen Film als «radikal» bezeichnet, rollt er genervt mit den Augen.

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Trailer Schweizerdeutsch, 1:50 © filmcoopi