Vol spécial (2011)

Vol spécial (2011)

  1. 103 Minuten

Filmkritik: Schwarze Schafe?

Flug ins Ungewisse
Flug ins Ungewisse © Studio / Produzent

Frambois ist ein Ausschaffungsgefängnis in einem Vorort von Genf. Es ist die einzige derartige Einrichtung der Schweiz, wurde 2004 gegründet und widmet sich ausschliesslich der Administrativhaft von illegalen Ausländern. Diese können sich den Tag durch innerhalb der Anstalt frei bewegen, haben einen Kühlschrank im Zimmer und können im Aufenthaltsraum Tischtennis spielen.

"nur" Beaufsichtiger
"nur" Beaufsichtiger © Studio / Produzent

Eine Art Luxusgefägnis also? Mitnichten. Die Insassen haben nämlich keinerlei Perspektive, sondern müssen in Frambois ausharren im Ungewissen darüber, wann und wohin sie ausgeschafft werden. Dieses Warten kann bis zu 24 Monate dauern, und falls der Inhaftierte dann nicht freiwillig zur Abreise bereit ist, wird er, geknebelt und von der Polizei begleitet, in einem "Spezialflug" ans Ausschaffungsziel transportiert.

Dreht man einen Film über die Ausschaffung illegaler Einwanderer, so stehen wohl die meisten Meinungen zum Thema bereits von vorneherein fest. Die einen finden's gut und notwendig, die anderen inhuman und eine Verletzung der Menschenrechte. Ein Dokumentarfilm hätte da die Aufgabe, eine neutrale Mittelposition einzunehmen und die Vor- und Nachteile kritisch zu untersuchen. In Vol spécial, dem neuen Film von Fernand Melgar nach dem Quartz-Gewinner La forteresse, geschieht dies leider nur bedingt.

Inhaltlich bietet Melgars Film jedoch in etwa das, was bei Dokfilmen über dieses Thema typischerweise anzutreffen ist: Er zeigt die Menschen in der Admininstrativhaft, wie sie dort leben, wie ihre Beziehung zu den Mithäftlingen und den Wärtern ist und wie ihre Perspektive auf die Zukunft aussieht. Dies gelingt Melgar durchaus gut, schliesslich ist es bekanntermassen seine Spezialität, intime Momente mit der Kamera einzufangen. Wenn dann einer der Insassen tatsächlich zur Ausschaffung abgeholt wird, dann fühlen wir zweifellos mit dem Wächter Denis mit, der seine "residents" mit der Zeit gern bekommen hat und nun emotional berührt ist, wenn er einen von ihnen gehen lassen muss.

Und doch hat man das alles irgendwie schon in anderen Dokfilmen gesehen. Melgar zeigt wenig Überraschendes und entwickelt sich stilistisch nicht merklich weiter. Über weite Strecken wirkt der Film wie eine schlichte Aneinanderreihung von Einzelschicksalen, ohne einen roten Faden erkennen zu lassen. Zudem kommt die Brisanz, die den titelgebenden "Spezialflügen" innewohnt, erst in den letzten Minuten des Filmes zur Sprache und wird nicht befriedigend behandelt. Alles, was vorher im Film gezeigt wurde, ist hingegen irgendwie selbstverständlich: Natürlich findet es niemand toll, ausgewiesen zu werden, natürlich ist es tragisch, wenn auf diesem Weg Familien auseinandergerissen werden, und natürlich ist es menschenrechtlich gesehen fragwürdig, jemanden bis zu zwei Jahre einzusperren, nur weil er ein illegaler Einwanderer ist. Aber was sind die Alternativen? Soll das Ausschaffungsverfahren rigide verschnellert werden, auf die Gefahr hin, dass es zu noch mehr Fehlern kommt? Oder soll einfach jeder illegale Einwanderer hier bleiben dürfen? Sprich, soll man jedem angeblichen "Flüchtling" glauben, der - wie es ein Insasse im Film tut - behauptet, er sei in seinem Heimatland zu Menschenopfern gezwungen worden?

Leider bemüht sich Vol spécial gar nicht erst, solche Fragen anzusprechen, geschweige denn zu beantworten. Dies müsste er jedoch, schliesslich werden hier im Gegensatz zu La forteresse ziemlich penetrant politische Töne angeschlagen. Man hat nämlich den Eindruck, dass im Schnitt bevorzugt diese Szenen ausgewählt wurden, in denen die Insassen politische Statements und Grosswetteranalysen über die Lage der Schweiz - beziehungsweise natürlich ihr Ausländerproblem - abgeben. Diese Momente wirken in ihrer Inszenierung ziemlich polemisch, etwa wenn ein Insasse auf einen Artikel über die Tieranwalt-Abstimmung stösst und entrüstet verkündet, dass Tiere in der Schweiz offenbar mehr gelten als Ausländer. In solchen Momenten lässt der Film bei all der Sympathisierung mit den Figuren eine kritische Distanz vermissen.

/ Jonas Ulrich [jon]

Trailer Französisch, mit deutschen Untertitel, 01:55