Unter Wasser atmen - Das zweite Leben des Dr. Nils Jent (2011)

Unter Wasser atmen - Das zweite Leben des Dr. Nils Jent (2011)

  1. 90 Minuten

Filmkritik: Geht nicht gibt's nicht

Nils Jent als Jugendlicher.
Nils Jent als Jugendlicher. © Studio / Produzent

Nils Jent, so zeigen es Super-8-Aufnahmen, war einst ein agiler, kräftiger junger Mann. Dann aber verunfallte er 1980 mit seinem Motorrad schwer. Nach einem achtminütigen Herzstillstand lag der damals 18-Jährige vier Wochen lang im Koma. Wieder bei Bewusstsein, konnte er sich nicht bewegen, nicht reden, nicht sehen, nur noch hören - ein Fall des sogenannten Locked-in-Syndroms.

Nils Jent heute.
Nils Jent heute. © Studio / Produzent

Aufgrund des sonderbaren Benehmens des Pflegepersonals merkte Jent schnell, dass die Ärzte bei ihm auch von einer geistigen Schädigung ausgingen. Dem war jedoch nicht so: Bald schon fing er an, mit dem Vater und später mit den Ärzten Schach zu spielen, indem er den mitgeteilten Spielstand memorisierte. So schlug er alle seine Gegner und signalisierte damit seinen klaren Geist und dessen grosses Potenzial.

Aus dem Krankenhaus entlassen, legte Jent einen unbändigen Willen an den Tag und holte gegen alle Widrigkeiten die Matura nach. Später studierte er Betriebswissenschaft an der Universität St. Gallen, wo er heute als Doktor tätig ist. Zudem schafft er es sogar, mit Hilfe eines Stocks wieder zu laufen. Doch nebst den vielen Fortschritten muss Jent auch Rückschläge verkraften.

Ein Mann, eine faszinierende Geschichte: Unter Wasser atmen ist ein Dokumentarfilm, der die verborgenen Fähigkeiten des Menschen anhand eines eindrücklichen Beispiels freilegt. Was dieser Nils Jent trotz seiner schweren Behinderung geschafft hat, ist kaum zu glauben. Sein Fall ist zugleich Inspiration als auch ein Verweis auf etwas, das der Gesellschaft noch nicht richtig bewusst ist: dass durch Behinderungen auch spezielle Eignungen entstehen können.

Eigentlich war über Jent nur ein kurzer Film geplant. Bald schon merkte das Regie-Gespann Andri Hinnen und Stefan Muggli jedoch, dass dies dem Thema nicht gerecht würde. So erweiterten sie das Projekt und auch den Zeithorizont. Hinnen und Muggli fingen zunehmend an, auch ohne Kamera Zeit mit Jent zu verbringen, um seine Person und seinen Alltag besser kennenzulernen. Das entgegengebrachte Vertrauen ist aus dem Film deutlich ersichtlich - selbst zum privaten Bereich schienen die beiden Regisseure beinahe ungeschränkten Zugang zu haben. Zudem hatten sie auch Glück: Jents Leben vor dem Unfall konnten sie durch die Super-8-Filme seines Vaters wesentlich plastischer abdecken als lediglich durch die Präsentation von Fotos. Auch die kluge Metapher mit der Wasser-Schildkröte ist eine Wahl, die das tiefe Verständnis der Macher zu ihrem Thema verdeutlicht.

Unter Wasser atmen mag visuell und von der Erzählstruktur her nicht bahnbrechend sein, vernebelt mit seiner Pragmatik aber auch nie das Thema. Hinnen und Muggli finden eine gute Gewichtung zwischen den Ausführungen des Umfeldes von Jent und denen von Jent selbst. Kurz ist auch Röbi Koller im Film zu sehen, der die Biografie in Buchform verfasste, ein separat gelaufenes Projekt. Und wenn sich auch ein Buch substanzieller dieses Themas widmen kann, so besitzt diese Dokumentarfilm nicht nur durch seine Audiovisualität, sondern auch durch seine Qualität absolut ihre Daseinsberechtigung.

/ uas

Trailer 1 Schweizerdeutsch, 02:08