Eine ruhige Jacke (2010)

Eine ruhige Jacke (2010)

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  2. 74 Minuten

Filmkritik: Das Eintauchen in eine andere Welt...

Konzentration
Konzentration © Studio / Produzent

Roman ist Autist. Er wohnt auf einem Bauernhof in Roderis. Der Hof ist eine Institution, die es sich zur Aufgabe macht, Menschen mit autistischen Merkmalen ein Heim und eine auf sie ausgerichtete Betreuung zu bieten. Roman spricht nicht, das hat er nie. Der junge Mann hat seine eigene Sprache, eine Mischung aus Lauten und Bewegungen. Was aber nicht heissen soll, dass er die Menschen um ihn herum nicht versteht. Er hat eine Kommunikationsform erlernt, die daraus besteht, eine Tastatur aus Holz zu bedienen. Eine Betreuerin liest ab, was er antippt und dabei entstehen Wörter und Sätze. Roman hat gelernt, sich in die Gruppe zu integrieren, er ist ein tüchtiger Arbeiter, sowohl auf dem Hof wie auch im Wald.

Roman und Xaver bei der Waldarbeit
Roman und Xaver bei der Waldarbeit © Studio / Produzent

Selbstständig leben kann Roman nicht. Er ist auf Hilfe angewiesen. Besonders eng ist sein Verhältnis zu Xaver. Mit ihm verbringt er viel der Zeit bei der Arbeit. Xaver ist ein väterlicher Freund, der mit unermesslicher Geduld versucht, mit seinen Schützlingen Neues zu erlernen, sie weiterzubringen. Der Umstand, dass er ihnen auch die Grenzen aufzeigen muss, macht die Beziehungen zu empfindlichen Gebilden, die zu erhalten viel Fingerspitzengefühl und Geduld erfordert.

Regisseur und Kameramann Ramòn Giger hat mit Eine ruhige Jacke eine beeindruckende Dokumentation geschaffen: einen Film von grosser Intensität, Emotion, Klarheit und Ruhe. Während seiner Zeit als Zivildienstleistender in einem Pflegeheim für Menschen mit Behinderung lernt der junge Filmemacher Roman und Xaver kennen. Diese Begegnung und die darauffolgende Zeit, die er mit Roman und seinem Betreuer verbringt, hat einschneidenden Charakter für ihn, sodass er schlussendlich beschliesst, seinen Erstling dieser Thematik zu widmen.

Der Film ermöglicht dem Zuschauer einen Blick auf einen jungen Mann, der in einer eigenen Welt lebt - für sich allein, sozusagen total von seiner Umwelt isoliert. Eine Welt, die er verlassen kann. Manchmal bleibt er länger "hier", manchmal nur ganz kurz. Wie lange jeweils, das kann niemand sagen. Durch lange Einstellungen, während derer die Kamera Roman begleitet, werden solche Momente dem Zuschauer ersichtlich. So sieht man ihn beispielsweise konzentriert arbeiten, wobei man kaum zwischen ihm und einem Angestellten unterscheiden kann. Plötzlich jedoch hält er inne und widmet sich einem Ast, einer Blume, einem Stück Baumrinde im Wasser, untersucht sie langsam, intensiv und sehr feinfühlig. Dann sieht man ihn von einem Moment auf den anderen "erwachen", indem er wieder konzentriert seine Arbeit aufnimmt.

Der Zuschauer lernt Roman keineswegs als willenlose Person kennen, die nichts um sich herum wahrnimmt, im Gegenteil. Er weiss sehr genau, was er will und kann sich mithilfe des erwähnten Kommunikationsinstruments erstaunlich klar und deutlich ausdrücken. Auf die Frage, wie er denn gesehen werden wolle, lautet seine Antwort: "als totaler Mensch". Genauso behandelt ihn der Film auch, was schlussendlich die Stärke der Dokumentation ausmacht. Die Kamera ist geduldiger Beobachter. Auf jegliche Untermalung, sei es auditiv oder visuell, verzichtend, begleitet sie den Protagonisten alleine oder bei der Interaktion mit Xaver und den anderen Menschen auf dem Hof. Sie verharrt auf seinem Gesicht oder folgt ihm minutenlang. Dies ermöglicht dem Zuschauer, die vielen Veränderungen, Gefühlsregungen und fortwährenden Wechsel zwischen dem "hier" Anwesend-Sein und dem Rückzug in die eigene Welt, beobachten zu können. Nur kurz wird dies jeweils durch passende, von zurückhaltender Musik begleitete Landschaftsaufnahmen unterbrochen.

Fazit: Eine ruhige Jacke ist ein intensives, bewegendes Erlebnis. Durch das Fehlen jeglicher Kommentare, seien dies Erklärungen von wissenschaftlicher Seite oder auch Ansichten von Betreuern und Angehörigen, überlässt es der Film jedem einzelnen Zuschauer selbst, sich ein Bild von Romans "Anderssein" zu machen. Das ist ungemein spannend und macht den Film sehr sehenswert.

/ mvf

Trailer Schweizerdeutsch, mit englischen Untertitel, 02:08