Filmkritik: Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?
Lily (Ludivine Sagnier) ist ein leicht seltsames Mädchen. Kindisch, trotzig und voller verrückter Ideen lebt sie mit ihrer Mutter auf dem Land. Bis die Mutter eines Tages völlig überraschend das Zeitliche segnet. Eigentlich wäre Lily erwachsen, aber sich selber überlassen kann man sie, die gerne Plüschpantoffeln aus den Pelzen toter Tiere macht, nicht wirklich. Ihre durch und durch vernünftige Schwester Clara (Diane Kruger) soll deshalb auf sie aufpassen. So zieht die Anwaltssekretärin nach der Beerdigung mit ihrem Mann Pierre (Denis Menochet) zu Lily aufs Land.
Trotz frischer Landluft ist die Stimmung zwischen den Schwestern manchmal auch stinkig. Lilys Spleens machen Clara das Leben schwer. Auch die Ehe mit Pierre leidet unter der Belastung. Doch Clara weiss die Freiheiten, die ihr Lily vorlebt, immer mehr zu schätzen. Und als eine Gruppe zwielichtiger Fahrender, die Lily überraschend vertrauensvoll bei sich im Garten empfängt, zu Besuch kommt, findet bei Clara ein endgültiges Umdenken statt.
Kann man einem blonden Mädchen böse sein, das ihrem Truthahn die Krallen rot lackiert? Ludivine Sagnier alias Lily ist eine äusserlich liebenswerte Figur. Eine Sympathieträgerin, wie sie im Kino oft auch in leicht "behinderter" Form vorkommen (die Beispiele reichen von Rain Man bis Forrest Gump). Sie kämpft gegen Verkrampfungen aller Art, und ihr sonniges Gemüt widerspiegelt sich in der lichtdurchfluteten Bildsprache von Fabienne Berthauds Verfilmung ihres eigenen Romans.
Wie sehr man Lily gern hat, wird einem dann klar, wenn der Film in einer der berechnendsten Wendungen, die man je im Kino gesehen hat, kurz so tut, als wäre Lily tot. Das Publikum wird dabei geteilt in die, die sich darüber freuen und die anderen, welche kurz im Schockzustand verharren. Weil die Figuren in ihrer Charakterisierung eindimensonal bleiben, funktioniert der Trick besonders gut. Vor allem der Ehemann von Lily, gespielt von Denis Menochet, welcher die Rolle der Vernunft übernimmt, dient quasi nur dazu, die beiden Damen in noch besserem Licht erscheinen zu lassen.
So werden Belämmerte beliebt gemacht. Anders als in Berthauds Erstling Frankie (auch mit Diane Kruger) gelingt hier die emotionale Bindung zu einer Irrenhäuslerin. Weshalb Pieds nus sur les limaces zu einem "Crowdpleaser" wird, dem man wegen seiner charmanten Machart und den lieblichen Blondinen in der Hauptrolle alle Kalkuliertheit verzeiht.
Roland Meier [rm]
Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.