England, 1837: Die 17-jährige Victoria (Emily Blunt) ist die einzige Erbin des britischen Thrones, auf dem noch ihr Onkel König William IV (Jim Broadbent) sitzt. Da William nicht mehr lange leben wird, versuchen viele Parteien, die junge Frau für ihre Zwecke einzuspannen. Auf Drängen des ehrgeizigen Ratgebers Sir John Conroy (Mark Strong) soll Victoria die Regentschaft bis zu ihrem 25. Geburtstag an ihre Mutter, die Herzogin von Kent (Miranda Richardson), abtreten, welche ihm blind vertraut. Der charismatische Premierminister Lord Melbourne (Paul Bettany) schmeichelt sich ebenfalls bei der jungen Frau ein.
Auch der belgische König Leopold (Thomas Kretschmann) möchte seinen Einfluss und den seiner Familie erhöhen. Der gebürtige Deutsche schickt deshalb seinen jungen Cousin Prinz Albert von Sachsen-Coburg (Rupert Friend) nach England, um Victoria zu bezirzen. Victoria durchschaut diesen Plan, erkennt aber bald, dass Albert wie sie gegen seinen Willen für politische Zwecke benutzt wird. Zwischen den beiden entsteht eine zarte Freundschaft. Auf Alberts Anraten hin beginnt Victoria, sich nicht mehr wie eine Schachfigur herumschieben zu lassen, sondern wird selber aktiv im Spiel um die Macht über Grossbritannien. Doch auch als sie auf dem Thron ist, kann sie Albert nicht vergessen.
Eine 63-jährige Regentschaft, wie sie Königin Victoria von 1837 bis 1901 innehatte, bietet jede Menge Erzählstoff fürs Kino. Bereits 1997 fand die ältere Victoria in Her Majesty, Mrs. Brown den Weg auf die Leinwand. In der Hauptrolle war damals Judy Dench zu sehen, die dafür mit einer Oscarnomination belohnt wurde. Die junge Victoria, dargestellt von Emily Blunt, schaffte es in diesem Jahr leider nicht aufs Nominationstreppchen. Als "Trost" durfte man stattdessen einen Oscar für die Kostüme abholen.
Das soll jedoch nicht heissen, dass in Jean-Marc Vallées Film Form und Ausstattung über Inhalt gehen. Die Kostüme sind zwar aufwändig gemacht, erdrücken aber die darin steckenden Charaktere nicht. Häufig sind sie sogar Teil des komplexen Spiels um Macht und Manipulation um Victoria und den britischen Thron. Schön verbildlicht ist das in den vielen Szenen, in denen sich die Hauptfiguren selbst im Spiegel betrachten: Wie man nach aussen wirkt, ist fast genauso wichtig wie das, was man sagt oder tut. Das wird subtil, aber effektiv inszeniert und wirkt dank des abwechslungsreichen Drehbuchs weit lebender und weniger steif als in manch anderem Kostümfilm.
Das Ränkespiel um die junge Königin Victoria darf zwar immer mal wieder dramatisch werden, trumpft jedoch wiederholt mit witzigen Passagen auf und endet schliesslich in einer wunderbaren Liebesgeschichte. Dass diese überzeugt, ohne den Film zu einem kitschigen Melodrama werden zu lassen, ist auch den tollen Schauspielern zu verdanken. Emily Blunt darf in der Hauptrolle glänzen und ihr breit gefächertes schauspielerisches Können zeigen. Ihre Victoria erscheint abwechselnd stark, verletzlich oder witzig, bleibt dabei aber stets sympathisch. Ihr Filmpartner Rupert Friend darf dafür beweisen, dass er mehr ist als ein Orlando-Bloom-Double. Sein Prinz Albert ist zwar keine schauspielerische Meisterleistung, trifft aber nicht nur die Königin, sondern wohl auch die Damenwelt im Publikum (und vielleicht nicht nur diese) mitten ins Herz. Die vielen bekannten Gesichter in den Nebenrollen sind dann sozusagen noch das Zückerli obendrauf.
The Young Victoria dreht sich um Intrigen, Manipulation, Macht und Politik. Im Grunde genommen handelt es sich aber ganz einfach um einen aufwändig produzierten Liebesfilm - mit Anspruch! Dass dabei der historische Zusammenhang etwas in den Hintergrund gerät, ist schnell zu verzeihen. Gerade Zuschauer ohne grosses geschichtliches Vorwissen hätten allerdings vereinzelt ein paar Erklärungen mehr benötigt. Davon abgesehen hat Regisseur Jean-Marc Vallée einen grossartigen Romantik-Kostümschinken auf die Leinwand gezaubert, bei dem praktisch alles stimmt: Tolles Drehbuch, bezaubernde Inszenierung, überzeugende Nebendarsteller und ein herrliches Liebespaar im Zentrum. Zum-Verlieben-schön!
Petra Schrackmann [pps]
Petra arbeitet seit 2007 für OutNow und haut auch für Lektorat und Listicles in die Tasten. Als Genrefan verbringt sie ihre Film- und Serienabende lieber mit Zombies, Hobbits oder RVAGs als mit Rom-Coms. Als Leseratte ist sie fasziniert von Comic- und Buchverfilmungen (sogar den schlechten!).