Ein Spung ins untiefe Wasser hat Ramón (Javier Bardem) vor 30 Jahren gelähmt. Seither ist er ans Bett gefesselt. Nur seine Gedanken und die ungehinderte Imaginationskraft ermöglichen die Flucht. Das Fenster seines Zimmers ist der einzige Kontakt mit der Aussenwelt. Als ehemaliger Seemann kann er von dort das Meer riechen. Alles was Ramón jetzt noch tun möchte, ist in Würde zu sterben.
Da treten zwei Frauen mit ganz unterschiedlichen Ansichten in sein Leben und bringen es durcheinander. Einerseits Julia (Belen Rueda), die Anwältin, welche ihn unterstützt im Kampf für den Tod nach seinem Willen. Andererseits Rosa (Lola Duenas), eine Frau vom Lande, die ihn zu überzeugen versucht, das sich ein Weiterleben trotz allem lohnt.
Warum gewinnt ein Film über eine Tetraplegiker, der sterben will, haufenweise Filmpreise (Golden Globe, Silberner Löwe in Venedig, Europäischer Filmpreis) - noch dazu über einen galizischen Poeten, der das Meer liebt?
Nun, der vom Hals abwärts Gelähmte, um den es in Mar Adentro geht, ist Ramón Sampedro. Ein Mann, den es wirklich gab, der gemäss vieler Quellen ein intelligenter, witziger Scharmbolzen war. Obwohl er ausser den Augen nicht mehr viel bewegen konnte, immer noch ganz der Latino, betörte er die Frauen reihenweise. Sein Kampf gegen katholisch-konservative Wertvorstellungen für das Recht auf den Freitod tun ein Übriges, dass ein Film über universelle Themen wie die Liebe und den Tod entsteht.
Der spanische Regisseur Alejandro Amenábar (The Others) geht mit diesen schweren Themen mit einer Leichtigkeit um, die seinesgleichen sucht. Trotz der vielen Bezugspersonen zu denen Sampedro die verschiedensten Formen der Liebe pflegte (Mutterliebe, Bruderliebe, Liebe zwischen Vater und Sohn) ist der Film flüssig erzählt. Eine wunderschöne Bildsprache zeigt, wie Sampedro seinem Körper entfliehen möchte, und wie mit seiner Behinderung zwei Meter zu einer unüberwindbaren Distanz werden können. Amenábar, der selber auch das Score schrieb, nützt auch die Musik meisterhaft im Film. Sampedros Liebe zu Opern, die ihn während seinen einsamen Stunden im Zimmer begleiteten, geben die Möglichkeit, Musik von Wagner und Puccini einzusetzen. Die Arie von Kalaf aus Puccinis Turandot ist, obwohl schon oft verwendet, wohl noch nie schöner eingesetzt worden, als in der Kussszene am Meer. Das Ding läuft seither bei mir auf repeat!
Der Auseinandersetzung mit dem Thema Euthanasie, fehlt trotz dieser fast kitschigen Szenen, nie die nötige Tiefe. Mar adentro wird Sampedros Kampf für die aktive/passive Sterbehilfe, der ihn zu einer Gallionsfigur machte, gerecht, indem er interessante Denkanstösse gibt, ohne in ein oberlehrerhaftes Mahnfingerschwingen zu verfallen. Im Gegenteil, wer solches vorhat - im Film macht das vor allem die Figur des ebenso gelähmten Padre Francisco - kriegt sein Fett ab.
Erwähnt man ausserdem die gute Darstellung von Javier Bardem, den man unter der Maske, die ihn zwanzig Jahre älter macht, fast nicht wieder erkennt und den Frauen im Film, die vielfach das erste Mal vor einer Filmkamera standen, wird schnell klar, warum dieser spanische Film Awards abräumt auf allen Kontinenten. Er ist zu recht ausgezeichnet.
Roland Meier [rm]
Roland sammelt 3D-Blu-rays, weil da die Publikationen überschaubar stagnieren, und kämpft im Gegenzug des Öfteren mit der Grenze der Speicherkapazität für Aufnahmen bei Swisscom blue TV. 1200 Stunden Film und Fernsehen ständig griffbereit sind ihm einfach nicht genug.