24 Jahre bevor er den Bösewicht im dritten Teil der John-Wick-Reihe mimte, trat Kung-Fu- und Karatespezialist Mark Dacascos als wortkarger Auftragskiller in diesem Actionfilm auf. Mit seinem durchtrainierten Körper und seinem traurigen Blick passt er optisch wunderbar in die Rolle des Freeman. Ähnlich wie Gosling in Drive bleibt seine Persönlichkeit hinter der kalten Fassade jedoch verborgen und auch in den Liebesszenen mit Julie Condra will er nicht so richtig auftauen. Dies macht den Helden zwar faszinierend und mysteriös, aber auch sehr unnahbar und die Liebesgeschichte zu distanziert. Bei der Romanze hätte Christophe Gans ruhig noch einen draufsetzen können, ist sie doch ein wichtiger Aggregator des Plots.
Was bei den Emotionen zwischen den Figuren nicht funktioniert, wird mit den Actionsszenen wieder glattgebügelt. Das Kugel- und Schwertballett ist an das moderne Hong-Kong-Kino der Zeit angelehnt und bietet toll choreographierte Gefechte, die von passenden Synth-Sounds untermalt sind. Es ist erstaunlich, dass dieser stylische, zum grössten Teil kanadisch produzierte Film in den USA erst 2018 veröffentlicht wurde, während er in unseren Breitengraden in jede anständige VHS-Sammlung gehörte. Wahrscheinlich war Crying Freeman seiner Zeit etwas voraus, denn wenige Jahre später stürmte John Woo selbst die amerikanischen Leinwände mit Face/Off, bevor die Wachowskis Zeitlupen und schwarze Anzüge endgültig salon- beziehungsweise kinofähig machten.
Der einfache Plot verwirrt sich ab und an in einem «Wer gehört zu welcher Bande»-Wirrwarr, findet aber rasch wieder zu seiner Geradlinigkeit. Im Finale nervt eine Nebenstory um Cop Netah (Tchéky Karyo) und seine Yakuza-Verbindungen ziemlich. Überhaupt dient die Figur des Polizisten der Dynamik der Geschichte nicht besonders, ist aber wahrscheinlich Teil der Mangavorlage.
Die Stimme des türkischstämmigen Karyo (Bad Boys) wurde in einer ganz sonderbaren Entscheidung durch diejenige von Hellboy Ron Perlman ersetzt. Kennt man die beiden Stimmen, irritiert die Figur umso mehr. Diese kleinen Stolpersteine auf dem Weg zu einem tollen Endkampf sind glücklicherweise überschaubar und bremsen den Genuss dieses durch und durch coolen Filmes wenig. Crying Freeman gehört nach wie vor in jede Filmsammlung. Eine 4K-Disc, die den Film nun in wunderbarer Optik präsentiert, tut es heute anstatt der VHS-Kassette aber auch.